Pink Hotel
Jüngsten, mit hoher Stirn und muskulösen Schultern, hatte eine
Tochter, die in Fresno lebte. Ein junger Kerl mit Akne hatte [317] eine schwangere
Freundin in Van Nuys, und wieder einer einen vierjährigen Sohn, dessen Mutter
inzwischen mit einem anderen verheiratet war. Auf dem Weg durch die Wüste
stellte ich mir vor, dass der Bus über Davids sonnengebräunte Haut fuhr. Im
Sand funkelte eine kaputte Glasscheibe, in lauter Splitter spiegelnden
Sonnenlichts zerbrochen. Das erinnerte mich an die Narben auf Davids Schulter.
Ich versuchte, mich an die anderen zu erinnern, an die quer über seiner Hand,
angeblich von einer Kneipenschlägerei, an die auf seinem Steißbein, weil er von
einer Mauer gefallen war. ›Matrix‹, dachte ich und stellte mir die Unmenge
zartgemaserter Hautschichten vor, aus denen eine Narbe bestand. Das Wort war
lateinisch für »Schoß«, was mir zu passen schien: eine Umgebung, in der sich
etwas entwickelt, eine Form, in die etwas gegossen oder modelliert wird, eine Organisationsstruktur.
Ich berührte meinen Bauch und schaute aus dem Fenster. Der Laguna Highway
führt an Palm Springs vorbei, ein paar Stunden außerhalb von Los Angeles.
Schließlich hielt der Greyhound irgendwo mitten im Nichts, wo khakifarbener
zerklüfteter Wüstenboden auf eine einzelne Straße aus heißem Asphalt traf, und
der Fahrer sagte mir, hier müsse ich umsteigen. Vor den zerklüfteten Bergen
stand ein Wald von Windrädern. Das Wartehäuschen war aus feinkörnigem rosa
Beton, und dahinter fuhr gerade ein Güterzug vorbei, ein Korso
graffitiüberzogener Eisenwaggons in verblichenem Rot, Blau und Grün. Auf einige
Container hatte jemand das Wort ECHO gesprüht,
und die Wiederholung wirkte beruhigend, da [318] etwa jeder dritte Waggon »echote«
und mit dem monotonen Klack-Klack-Klack von Metall auf heißem Metall Staub
aufwirbelte. Ein junger Mann mit schmutzigen Fußknöcheln und aufgesprungenen
Lippen schlief im Schatten des Betons, umgeben von einer Festung tarnfarbener
Armeerucksäcke. Am Horizont kam der schwankende Körper eines Mannes auf einem
Kinderfahrrad in Sicht. Alles war ein wenig verschwommen. Auf der anderen Seite
des rosa Betonunterstands tauchte ein Uniformierter auf. Er drückte eine
selbstgedrehte Zigarette aus, während er die blutunterlaufenen Augen mit der
Hand vor der Sonne schützte und mich breit angrinste.
»Wo soll’s denn hingehen?«, sagte er. Ganz nüchtern schien er nicht
zu sein.
»Laguna Highway«, sagte ich.
»Kenn ich nicht«, entgegnete er, wandte sich abrupt von mir ab, um
ein Sci-Fi-Magazin aufzuheben.
»Das ist die Straße, die nördlich von hier durch Laguna Town führt.
Kann ich einen Blick auf einen Busfahrplan oder so was werfen?«, fragte ich. Er
sah mich an, als wäre ich geisteskrank. Hinter mir stieg gerade der Mann vom
Fahrrad, sein Gesicht hatte genau die gleiche Farbe wie der Sand, als wäre er
eine Strandskulptur. Er atmete schwer vom Fahren, und sein Atem roch entfernt
nach Salz, wahrscheinlich die Nachwehen eines Tequilas oder einer Margarita on
the Rocks mit Salzrand am Glas. Ich dachte an den Geruch von Alkohol auf Davids
Haut.
»Wann fährt der nächste Bus Richtung Osten?«, fragte der sandfarbene
Mann den Uniformierten.
[319] »Müsste in einer Stunde hier sein.«
»Scheißdreck«, sagte der Sandmann und trat mit kaputten Turnschuhen
gegen den Bordstein.
Ich musste in Palm Springs übernachten, das der kleinen rosa
Bushaltestelle und auch dem geheimnisvollen Laguna Highway am nächsten liegt.
Die Stadt war voller alter Leute mit sonnengegerbter Haut. Ich fand ein
Infohäuschen, in dem ebenfalls eine ältere Frau saß mit einer großen
Sonnenbrille auf der Nase, in der ich mich spiegeln konnte.
»Was suchen Sie denn, meine Liebe?«, fragte sie.
»Gibt’s einen Bus, der den Laguna
Highway entlangfährt?«
Sie ging den Fahrplan durch. Auf den Dächern der meisten Häuser in
Palm Springs waren komische kleine Sprinkler montiert, die einem auf die Haut
sprühten und hier und da Wasserflecken auf den Sonnenbrillen der Leute
hinterließen. Aus einem Hamburger-Restaurant in der Nähe roch es nach
gebratenem Fleisch. Schließlich entschied sich die Dame vom Infoschalter für
einen Bus, der den Laguna Highway rauf- und runterfahre, und zwar von einem Ort
namens Burrow, nicht weit von Palm Springs entfernt, bis nach La Toro.
»Wo möchten Sie denn genau hin?«, fragte die Frau.
»Eigentlich will ich nirgendwo aussteigen«, antwortete ich,
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