PinkMuffin@BerryBlue. Betreff: LiebesWahn (German Edition)
okay?
Viel gefährlicher ist es, mit meiner Familie essen zu gehen. Also, falls meine Großmutter Dich je in ein Restaurant einlädt, solltest Du ein paar Regeln beachten:
1. Bemühe Dich darum, die Landessprache der jeweiligen Küche zu sprechen. (Du kannst nur hoffen, dass es kein chinesisches, koreanisches oder thailändisches Restaurant ist. Diese Sprachen sind wirklich schwer zu erlernen, glaub mir, ich hab’s probiert.)
2. Informiere Dich über die aktuelle politische Situation jenes Landes und
3. fast noch wichtiger – über die Historie, mit Schwerpunkt Literatur, jener Kultur, deren Küche Du im Begriff sein wirst zu genießen.
4. Bestelle nie selbst (auch wenn Du, siehe Punkt 1, dank eines Schnellkurses die Sprache fließend sprichst) – meine Großmutter übernimmt das für Dich.
5. Widersprich ihr bitte nicht.
Ansonsten: Viel Spaß und Guten Appetit!
Mein Vater kam gestern von seinem Businesstrip zurück und meine Großmutter lud uns zum Essen ein. In ein französisches Restaurant, La Panetière , das ist dieser edle Gourmet-Tempel, etwas außerhalb der Stadt.
Es hätte nett werden können, denn mein Französisch ist okay, meine Kenntnisse über die Französische Revolution sind leidlich, außerdem habe ich Grundkenntnisse der Werke von Victor Hugo, Gustave Flaubert, Alexandre Dumas, Jean-Paul Sartre (der übrigens ein Großneffe von Albert Schweizer war, wusstest Du das?) und Albert Camus.
Trotzdem war es nicht harmonisch.
Als wir zu unserm Tisch geführt wurden, berührte meine Großmutter meine Mutter leicht am Arm und meinte: »Liebes, sag doch bitte meinem Sohn, er möge einen entspannten Gesichtsausdruck auflegen. Ich schätze es nicht, wenn man zum Dinner eingeladen ist und ein Gesicht zieht, als wäre man gezwungen worden, anwesend zu sein.«
Aha, diesmal war also mein Vater dran. Aber er hält immer tapfer dagegen, an ihm beißt sie sich die Zähne aus.
Nach einem Blick auf die Speisekarte teilte er uns mit, was er essen wollte.
Meine Großmutter zog die Augenbrauen in die Höhe und meinte: »Wie lautet die Regel?«
Bevor mein Vater sich aufplustern konnte, rief ich schnell: »Der Gastgeber entscheidet, was gegessen wird. Bei einem privaten Dinner würde sich ja auch kein Gast erdreisten, sich an den Tisch zu setzen und dem Gastgeber mitzuteilen, was er zu essen wünscht. Und das hier gilt als privates Dinner, weil es eine Einladung ist. Wer bezahlt, bestellt.«
Ich schaute meinen Vater flehentlich an, er gab nach und murmelte sehr unterkühlt: »Aber natürlich.«
Meine Großmutter bestellte also für uns alle in fließendem Französisch. Der Ober ist kein Franzose, er antwortete in dürftigem Französisch, aber meine Großmutter ließ es ihm durchgehen. (Ich denke mal, da meine Großmutter oft in dieses Restaurant geht, kennt man ihre Marotten und schickt die Angestellten regelmäßig in Sprachkurse der Volkshochschule.)
Während wir aßen, begann meine Großmutter das Verhör: »Nun, wenden wir uns doch einmal der französischen Literatur zu. Was lesen wir denn zurzeit?«
»Ist das ›wir‹ Plural Majestatis oder launische Konversation?«, erkundigte sich mein Vater mit aggressivem Unterton.
»Ich lese – Deiner Empfehlung folgend – Jean-Paul Sartres Das Spiel ist aus «, rief ich sofort meiner Großmutter zu, weil ich Frieden wollte. Dabei betonte ich »Empfehlung«, es war nämlich weniger eine Empfehlung als vielmehr ein Befehl gewesen.
Meine Großmutter nickte. »Brav, mein Kind.« Dann wandte sie sich an meine Mutter: »Und Du, Liebes?«
Meine Mutter strahlte und erzählte begeistert von Gefangen in den Ketten der Liebe , einem neuen Kitschroman.
Als sie das Entsetzen in den Augen meiner Großmutter wahrnahm, sagte sie schnell: »Es spielt in Frankreich!«
Meine Großmutter bekam diesen zitronensauren Ausdruck um den Mund herum und machte nur: »So, so.«
Meine hübsche Mutter guckte irritiert von einem zum anderen, dann strahlte sie, denn ihr war noch ein Beitrag zum Thema Frankreich eingefallen. »Christian Dior und Coco Chanel sind beide aus Frankreich!«
Ja, ja, die Welt der Mode und der Kosmetik, da kennt sich meine Mutter aus. Was meine Großmutter natürlich nicht die Bohne beeindruckt – im Gegenteil. Sie schwieg einen Moment, es sah aus, als wäre sie in ein Gebet versunken.
Dann blickte sie wieder hoch, machte ein wichtiges Gesicht und meinte: »Wie ihr sicherlich den regionalen und überregionalen Zeitungen entnommen habt, wird es in
Weitere Kostenlose Bücher