Piper und das Rätsel der letzten Uhr
und von irgendwo ein leises Scharren. Leichter Wind kam auf und wehte ihr das Haar ins Gesicht.
Dann, plötzlich, schlug der Deckel des Schrankkoffers zu.
Piper erschreckte. Sie saß jetzt im Dunkeln.
»Hey!«
Mit einem Mal war sie hellwach. War das der Wind gewesen? Blödsinn! Es wehte kein Wind im Dachzimmer!
Sie spähte in die Dunkelheit.
Nein, ganz dunkel war es nicht. Mattes Licht schimmerte durch die Ritzen des Koffers.
Schnell stemmte sie den Deckel wieder auf. Es war ganz leicht.
»Oh«, sagte sie.
Um sie herum sah sie lauter Bäume. Aber das war noch nicht das einzig Merkwürdige. Die Bäume waren nicht grün oder braun oder welche Farbe Bäume sonst eben hatten, sie sahen irgendwie komisch aus.
Piper rieb sich die Augen. »Oh«, sagte sie ein weiteres Mal, diesmal ein wenig überraschter und auch etwas ängstlich.
Dann merkte sie, dass sie nicht allein war.
3. Kapitel
»Wer sind Sie?« Die kleine Gestalt, die neben dem Schrankkoffer stand und sie unverwandt ansah, trug einen Anzug mit Weste und Taschenuhr, dazu einen Gehstock. Davon abgesehen war sie ein Otter. Nein, das war nicht ganz richtig. Die Gestalt sah aus wie ein Tier, das sich als Mensch im Tierkostüm verkleidet hatte. Oder so ähnlich.
»Ich bin Piper«, antwortete Piper und stand auf. »Piper Hepworth.«
Sie schaute sich um. Der Schrankkoffer stand auf einer Lichtung mitten im Wald. Einem Wald, der schwarz-weiß war. Das Sonnenlicht, das durch die Äste flutete, sah schattenhaft und unwirklich aus. Ein windschiefer Baum reckte seine Zweige über ihr in den Himmel. Obwohl alles schwarz-weiß und wie gezeichnet aussah, kam es Piper wirklich vor. Oder so ähnlich. Piper war nämlich weit davon entfernt, auch nur einen leisesten Schimmer davon zu besitzen, was hier vor sich ging.
»Gestatten, Mr Travis«, sagte der Otter höflich.
»Wo bin ich?«
»Na, hier«, antwortete der Otter, der Mr Travis hieß, als sei die Antwort eine Selbstverständlichkeit. Er hatte eine kleine Schnauze und warme Äuglein.
»Aber wo ist hier?«
»Nirgendwo anders«, kam es zurück. Wenn er redete, dann bewegte sich der schlanke Schwanz, der hinten aus der Hose lugte, leicht hin und her, als suche er nach dem Gleichgewicht.
Piper starrte den Otter an. Der Anzug, den er trug, war von einer ähnlichen Farbe wie sein Fell. Immerhin war der Otter samt Kleidung nicht auch noch schwarz-weiß.
»Natürlich scherze ich nur«, korrigierte sich der Otter höflich, »Sie sind in Septemberland, junge Dame. So heißt diese Gegend nämlich.«
Septemberland. Piper überlegte. Hatte dieser Name nicht auch neben der gezeichneten Karte in dem alten Buch gestanden?
»Warum sitzen Sie in einer Kiste?«
Der hatte vielleicht Nerven. Piper legte die Stirn in Falten. Die Frage war ja wohl nicht, warum sie in dem Schrankkoffer saß, sondern warum der Schrankkoffer sich auf einmal nicht mehr auf Onkel Georges Dachboden befand, sondern hier mitten in einem Wald. Einem Wald, der obendrein noch schwarz-weiß war.
»Das ist ein Schrankkoffer.«
»Warum sitzen Sie in einem Schrankkoffer?«, wiederholte Mr Travis die Frage.
Piper beschloss, bei der Wahrheit zu bleiben. »Es ist gemütlich«, sagte sie.
Der Otter nickte. »Klingt einleuchtend.«
»Wie bin ich hierhergekommen?«, fragte Piper.
Der Otter sah sie fragend an.
»Und warum ist der Wald schwarz-weiß?«
»Warum sollte er das nicht sein?«
»Weil Wälder normalerweise nicht schwarz-weiß sind.«
Der Otter legte den Kopf schief. »Wie sollte er denn sonst sein?«
»Na ja, bunt eben. Grün und braun und viele andere Farben dazu.«
Mr Travis dachte darüber nach. »Dieser Wald hier war immer schon so.«
»Woanders ist es also bunt?«
»Es wäre schlimm, wenn es überall so aussähe.«
Piper seufzte.
Ein leichter Wind berührte ihr das Gesicht und sie sah, wie Blätter in der Luft schwebten.
»Es ist Herbst«, sagte der Otter und Piper fragte sich, was genau er mit dieser Bemerkung meinte.
»Ich träume bestimmt«, sagte sie jetzt laut.
»Das glaube ich nicht. Wir leben schließlich hier.«
Piper fragte sich, wen er mit wir meinte. »Ich habe einfach nur die Augen geschlossen und dann ist der Deckel des Schrankkoffers zugefallen. Ungefähr so.« Sie ging in die Hocke, zog den Kopf ein wenig ein und ließ den Deckel zuklappen. Dann öffnete sie ihn wieder. »Und dann…« Die restlichen Worte blieben ihr im Hals stecken.
Sie war wieder auf dem Dachboden. Kein Otter weit und breit und auch kein
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