Pippi Langstrumpf
du hast ja ganz rote Augen“, sagte Thomas.
„Rote Augen!“ sagte Pippi und nahm Herrn Nilssons Taschenspiegel, um nachzusehen. „Nennst du das rote Augen?
Da hättest du mit Vater und mir in Batavia sein sollen! Da war ein alter Mann, der hatte so rote Augen, daß die Polizei ihm verbot, sich auf der Straße zu zeigen.“
„Warum denn?“ fragte Thomas.
„Darum, weil die Leute dachten, er sei ein Stoppsignal –
verstehst du? So daß der ganze Verkehr lahmgelegt wurde, wo er ging. Ich und rote Augen! Nein, glaube ja nicht, daß ich wegen so eines kleinen Vogels weine!“ sagte Pippi.
„Dummes, dummes Wunder! Dummes, dummes Wunder!“
Von allen Seiten kamen die Kinder angelaufen, um zu sehen, wo das Wunder geblieben war. Da nahm das Wunder den kleinen Vogel und legte ihn ganz vorsichtig auf ein weiches Moosbett.
„Wenn ich könnte, würde ich dich wieder lebendig machen“, sagte es mit einem tiefen Seufzer. Dann stieß es ein furchtbares Gebrüll aus.
„Jetzt koche ich euch zu Mittag“, rief es. Und mit fröhlichem Geschrei verschwanden die Kinder zwischen den Büschen.
Eines der Mädchen aus der Klasse – es hieß Ulla – wohnte ganz in der Nähe des Wunderwaldes. Ullas Mutter hatte ihr erlaubt, ihre Lehrerin und ihre Klassenkameraden und natürlich auch Pippi in den Garten einzuladen, wo sie Erfrischungen 133
bekommen sollten. Als nun die Kinder das Wunderspiel lange genug gespielt hatten, eine Weile auf dem Berg herum-geklettert waren, in einer großen Pfütze Borkenschiffchen hatten segeln lassen und zugesehen hatten, wer es wagte, von einem hohen Stein herunterzuspringen, da sagte Ulla, daß es jetzt wohl Zeit wäre, zu ihr nach Hause zu gehen und Himbeersaft zu trinken. Und die Lehrerin, die ihr Buch von Anfang bis zu Ende durchgelesen hatte, fand das auch. Sie sammelte die Kinder zu einem Trupp, und sie verließen den Wunderwald.
Draußen auf der Straße kam ein Mann auf einem Wagen mit Säcken angefahren. Es waren schwere Säcke, und es waren auch viele Säcke. Und das Pferd war alt und müde. Plötzlich rutschte eines der Wagenräder in den Graben. Der Mann, der übrigens Blomsterlund hieß, wurde ganz furchtbar wütend. Er meinte, das Pferd hätte schuld. Er holte seine Peitsche hervor, und einen Augenblick später hagelten harte Schläge auf den Rücken des Pferdes nieder. Das Pferd mühte sich ab und zog und versuchte mit aller Kraft, die Fuhre wieder auf die Straße zu bringen, aber es ging nicht. Der Mann wurde immer wütender und schlug immer härter zu.
Gerade da erblickte ihn die Lehrerin, und sie war ganz außer sich vor Mitleid mit dem armen Pferd.
„Wie können Sie es nur fertigbringen, ein Tier auf diese Weise zu schlagen!“ rief sie. Der Mann ließ die Peitsche einen Augenblick ruhen und spuckte aus, ehe er antwortete.
„Mischen Sie sich nicht in Sachen ein, die Sie nichts angehen“, sagte er, „denn sonst kann es passieren, daß ich euch allen zusammen eins mit der Peitsche versetze.“
Er spuckte noch einmal aus, und dann griff er wieder zur Peitsche.
Das arme Pferd zitterte am ganzen Körper. Da kam etwas wie ein Blitz aus der Kinderschar hervorgeschossen. Das war Pippi. Sie war ganz weiß um die Nase. Und wenn Pippi weiß 134
um die Nase war, dann war sie böse. Das wußten Thomas und Annika. Sie stürzte sich direkt auf Blomsterlund, faßte ihn um den Leib und warf ihn in die Luft. Als er herunterkam, fing sie ihn auf und warf ihn nochmal hoch. Viermal, fünfmal, sechsmal machte er eine Reise durch die Luft. Er wußte nicht, was mit ihm geschah.
„Hilfe, Hilfe!“ schrie er in wildem Schreck.
Zuletzt landete er mit einem Plumps auf der Straße. Die Peitsche hatte er verloren. Pippi stellte sich mit den Händen in den Seiten vor ihn hin.
„Du schlägst das Pferd nicht mehr!“ sagte sie bestimmt. „Du tust das nicht, verstehst du? Einmal da unten in Kapstadt traf ich auch einen Mann, der sein Pferd schlug. Er hatte eine so furchtbar feine und schöne Uniform an, der Mann, und ich sagte zu ihm, wenn er sein Pferd nochmal schlage, dann würde ich ihn so verhauen, daß nicht ein ganzer Faden von seiner feinen Uniform übrigbliebe. Na, und eine Woche später schlug er sein Pferd wieder. War das nicht schade um so eine schöne Uniform?“
Blomsterlund saß immer noch völlig verwirrt auf der Straße.
„Wo willst du hin mit der Fuhre?“ fragte Pippi.
Der Mann zeigte verschüchtert auf ein Häuschen, das ein Stück weiter weg lag.
„Dorthin, nach
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