Pippi Langstrumpf
groß bist?“
„Du meinst, so eine mit einem Schleier auf der Nase und drei Kinnen drunter?“ fragte Pippi.
„Ich meine eine Dame, die immer weiß, wie sie sich benehmen soll, und immer höflich und wohlerzogen ist. Eine wirklich feine Dame – willst du das nicht werden?“
„Das kann man sich überlegen“, sagte Pippi. „Aber, verstehst du, Fräulein, ich bin schon so gut wie entschlossen, Seeräuber zu werden, wenn ich groß bin.“
Sie überlegte eine Weile.
„Aber glaubst du nicht, Fräulein, daß man Seeräuber und eine wirklich feine Dame gleichzeitig werden kann?“
Die Lehrerin glaubte das nicht.
„Ach, ach, für was soll ich mich dann bloß entscheiden?“
Die Lehrerin meinte, es sei ganz gleich, welchen Lebensweg Pippi einmal wählen würde. Jedenfalls könnte es nicht schaden, wenn sie lernte, wie man sich benimmt. Man dürfe sich einfach nicht so benehmen, wie Pippi sich vorhin bei Tisch benommen hatte!
„Daß es so schwer ist zu wissen, wie man sich benehmen muß!“ seufzte Pippi. „Kannst du mir nicht die wichtigsten Regeln sagen?“
Die Lehrerin tat es, so gut sie konnte. Sie erzählte, und Pippi hörte interessiert zu: Man darf sich nichts nehmen, bevor man dazu aufgefordert wird. Mehr als einen Kuchen auf einmal darf 138
man sich nicht nehmen. Man darf sich nicht kratzen, wenn man mit anderen Menschen spricht – dies darf man nicht tun, und jenes darf man nicht tun. Pippi nickte nachdenklich.
„Ich werde jeden Tag eine Stunde früher aufstehen und üben“, sagte sie, „so daß ich die Kniffe kenne, falls ich mich entschließen sollte, nicht Seeräuber zu werden.“
Ein Stück von der Lehrerin und Pippi entfernt saß Annika auf dem Rasen. Sie war in Gedanken versunken und saß da und bohrte sich in der Nase.
„Annika“, rief Pippi streng, „was machst du? Merk dir, daß eine wirklich feine Dame sich nur in der Nase bohrt, wenn sie allein ist!“
Aber jetzt sagte die Lehrerin, daß es Zeit wäre, aufzubrechen und nach Hause zu marschieren. Alle Kinder stellten sich in die Reihe. Nur Pippi saß noch auf dem Rasen. Sie hatte einen gespannten Gesichtsausdruck, so, als ob sie auf etwas lauschte.
„Was ist los, kleine Pippi?“ fragte die Lehrerin.
„Du, Fräulein“, sagte Pippi, „darf eine wirklich feine Dame Magenknurren haben?“
Sie saß ganz still und hatte weiter ihren lauschenden Gesichtsausdruck.
„Denn wenn sie das nicht darf“, sagte sie schließlich, „dann kann ich mich ebensogut gleich entschließen, Seeräuber zu werden.“
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Pippi geht auf den Jahrmarkt
In der kleinen, kleinen Stadt war Jahrmarkt.
Einmal im Jahr gab es einen solchen Jahrmarkt, und jedesmal wurden alle Kinder in der kleinen Stadt ganz wild vor Freude darüber, daß es so etwas Schönes gab. An diesem Tage sah die kleine Stadt ganz anders aus als sonst. Überall drängten sich die Menschen, Flaggen waren gehißt, und auf dem Markt waren eine Menge Buden aufgebaut, wo man die
wunderbarsten Sachen kaufen konnte. Es war ein solches Leben und ein solcher Betrieb, daß schon allein ein Gang durch die Straßen ein Erlebnis war. Und das Schönste von allem: Unten am Zollhaus war ein großer Vergnügungsplatz mit Karussells und Rutschbahn und Theater und zahllosen anderen Lustbarkeiten. Und dann eine Menagerie! Eine Menagerie mit allen möglichen Tieren: Tigern und Riesenschlangen und Affen und Seelöwen. Wenn man vor der Menagerie stand, konnte man merkwürdige Laute hören, Knurren und Gebrüll, wie man es niemals im Leben vorher gehört hatte. Wenn man Geld hatte, konnte man natürlich hineingehen und sich alles ansehen.
Es war kein Wunder, daß Annikas Schleife vor Spannung zitterte, als sie am Morgen des Jahrmarktstages fertig angezogen dastand, und daß Thomas sein Käsebrot in der Eile beinahe ganz heruntergeschluckt hätte. Thomas’ und Annikas Mutter fragte ihre Kinder, ob sie mit ihr zusammen zum Jahrmarkt gehen wollten. Aber da drehten sich Thomas und Annika ein bißchen hin und her und sagten, wenn die Mutter nichts dagegen hätte, dann würden sie lieber mit Pippi gehen.
„Denn siehst du“, sagte Thomas zu Annika, als sie durch die 140
Gartentür der Villa Kunterbunt gingen, „ich glaube, daß wir mehr Spaß haben, wenn Pippi dabei ist.“
Das meinte Annika auch.
Pippi stand fertig angezogen mitten in der Küche und wartete auf sie. Sie hatte endlich ihr großes Mühlrad von Hut gefunden.
Es hatte doch in der Holzkammer gelegen.
„Ich hatte ja
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