Piratenblut
ähnliches.« »Wollen wir im Europäerviertel wohnen?« fragte Fernando. Ibn Kuteiba schüttelte bedenklich den Kopf. »Unsere Devise muß lauten: so wenig wie möglich auffallen.«
»Bueno, amigos, spielen wir Eingeborene. Ich glaube auch, daß wir damit am weitesten kommen«, meinte Marina.
Nachdem sie ein paar Stunden gesucht hatten, fanden sie ein einfaches, aber verhältnismäßig sauberes Inderhotel. Gegen entsprechende Bezahlung erhielten sie sogar Einzelzimmer. Sie schüttelten den Staub der Reise ab, gaben acht, daß die Pferde anständig versorgt wurden, und begaben sich dann zur Ruhe. —
Am nächsten Morgen, als sie sich an indischem Reis, getrockneten Datteln und goldgelbem Honig gesättigt hatten, gingen sie spazieren. Das heißt, es sah so aus. In Wirklichkeit beobachteten sie sorgfältig und gespannt das Leben und Treiben in der Stadt. Sie paßten auf, wann die Wachen vor den öffentlichen Gebäuden abgelöst wurden, wie oft die Polizeistreifen wechselten, zu welcher Zeit das Leben am ruhigsten und wann am lebhaftesten war. Ihr ausgedehnter Spaziergang diente dazu, sich mit den Verhältnissen in der Residenzstadt Indiens vertraut zu machen. Am Abend, als sie in ihr Hotel zurückkehrten, sagte Ernesto :
»Von Kalkutta haben wir ja nun eine ganze Menge gesehen; aber wie wir hier den Señor
Silbador finden sollen — wenn er überhaupt noch da ist — das ist mir vorläufig noch
schleierhaft.«
»Mir auch«, sagte Fernando.
»Wir müssen ihn finden«, behauptete Marina. Aber auch sie hatte keine Ahnung, wie man das bewerkstelligen konnte.
Der einzige, der sich nicht äußerte, war Ibn Kuteiba. Er saß still auf einem Sitzkissen und trank in langen Zügen gekühlten Feigensaft. Seine Augenlider waren niedergeschlagen. Und wer nicht genau hinsah, mußte annehmen, daß er schlief.Tausenderlei Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Tausend Pläne kamen ihm in den Sinn, die er alle wieder verwarf.
»Maschallah«, rief er dann plötzlich. »Dieser alte General, mit dem Señor Baum ins Innere des Landes ging, hatte doch eine Tochter. Vielleicht kann sie uns helfen!« Marina bekam glänzende Augen.
»Diablo, Ihr habt ausgezeichnete Ideen, Steuermann! Ich weiß sogar, wie ich sie finden kann; denn ich erinnere mich noch, bei welcher Familie sie Anschluß fand, bevor wir Kalkutta verließen. Es waren die Tennessys, eine einflußreiche Familie in Kalkutta.« »Na also«, sagte Fernando.
»Dann können wir ja für heute unsere Sitzung abbrechen«, meinte Ernesto.
»Schlecht ist nur, daß ich keine europäische Kleidung habe«, sagte Marina. »Ich kann in diesem Aufzug ja nicht der Familie Tennessy meine Aufwartung machen.« »Gibt es hier keinen europäischen Laden?« fragte Ibn Kuteiba. Marina zuckte die Achseln. »Ich habe keinen gesehen.«
»In meiner Satteltasche befindet sich ein Hemd und eine Hose. Man könnte es unter Umständen wagen, in diesen Sachen das Europäerviertel aufzusuchen, um dort etwas für Euch einzukaufen, Señorita«, schlug Fernando vor.
»Ihr wollt also einen offiziellen Besuch machen?« warf Ibn Kuteiba ein. »Ja. Weshalb nicht? Habt Ihr Bedenken?«
»Ja, gehörige Bedenken. Ich kann mir vorstellen, daß die Weißen hier alle zusammenhalten. Und wenn Ihr
sogar sagtet, daß diese Familie Einfluß hat, so muß sie mit der Ostindien-Kompanie in enger
Verbindung stehen.«
»Was ratet Ihr mir also?«
»Wir müssen versuchen, unmittelbare Fühlung mit der Tochter des Generals zu bekommen. Ich kenne sie, und Ernesto kennt sie. Wir können uns in der Nähe des Hauses herumtreiben, in dem sie wohnt, um sie abzufangen, wenn sie allein ist.«
»Mich könnt Ihr auch zu diesem Spiel laden«, lachte Fernando. »Ich habe die Dame einmal gesehen und glaube, daß ich sie sofort wiedererkenne.«
»Bueno«, sagte Marina, »sehen wir zu, daß wir morgen europäische Kleider beschaffen können, damit wir auf unseren Beobachtungsposten nicht auffallen.«
10
Zwei Tage danach war Sonntag. In der englischen Stadt bereiteten sich die Menschen zum Kirchgang.
Isolde Hawbury nahm ihr Gesangbuch. Es war erst halb neun, und sie wollte heute zum Frühgottesdienst, weil sie mit Bekannten verabredet hatte, um elf Uhr eine Picknickfahrt in die Umgebung zu machen.
Die Kirche war nicht weit, und da die übrigen Bewohner des Hauses noch nicht aufgestanden
waren, sich das Anspannen des Wagens aber für Isolde allein nicht lohnte, verließ sie das Haus
zu Fuß. Sie trug den Hut in der Hand und schlenderte
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