Piratenbraut
behaupte: Ohne professionellere Strukturen droht sich das Durcheinander in absehbarer Zeit noch zu multiplizieren.
Kein Geld für Personal? Dann holt es euch! Ich kapiere nicht, wieso ihr 40 Prozent der (angeblichen) Mitglieder ohne Beitrag davonkommen lasst. Warum hofft ihr auf großzügige Spenden, statt höhere Mitgliedsbeiträge von all jenen zu fordern, die es sich leisten können? Was genau spricht beispielsweise gegen einen sozial gestaffelten Mitgliedsbeitrag, der die Gutverdienenden in der Partei stärker herannimmt?
Als ich vor sieben Monaten Piratin wurde, war die Piratenpartei die mit Abstand beliebteste politische Projektionsfläche in meinem Umfeld. Es war atemberaubend, welche diffusen und zugleich widersprüchlichen Erwartungen sich an diese neue politische Kraft richteten. Ein Onkel setzte darauf, dass die Piraten die jahrelange finanzielle Umverteilung zulasten der nachfolgenden Generationen aufhalten würden. Eine Bekannte traute ausgerechnet den Piraten zu, den vielen Arbeitslosen in Deutschland »endlich mal einen Besen in die Hand zu drücken«. Einer meiner SPD -Freunde hörte sich an, als halte er die Piraten insgeheim für ein Update der Sozialdemokratie. Manchmal fragte ich mich: Reden die eigentlich alle von ein und derselben Partei? In den vergangenen Monaten jedoch wurde sich mein Bekanntenkreis verblüffend einig, meine Partei müsse endlich mal inhaltlich punkten, statt nur mit Streitereien und Peinlichkeiten auf sich aufmerksam zu machen.
Womöglich wird allein die Nachricht, dass die Piraten in Bochum neue Programmbausteine beschlossen haben, schon einen guten Teil der potenziellen Wähler versöhnlich stimmen. Wer interessiert sich schon für die inhaltlichen Details? Für viele vom Politikbetrieb abgestoßene Menschen seid ihr ganz einfach eine willkommene Alternative auf dem Stimmzettel, die man guten Gewissens ankreuzen kann.
Mit ein wenig Glück werden einige von euch im Herbst also in den Bundestag einziehen. Und: Keine Frage, das wäre sensationell! Zum ersten Mal seit 1990 würde eine neue politische Kraft den Politikbetrieb im Bundestag aufmischen. Wer wollte das nicht spannend finden?
Trotzdem ärgern mich als Piratin inhaltlich schwache Programmbeschlüsse. Es ist eben etwas anderes, ob die eigene Partei vorerst konturlos bleibt, weil sie zu bestimmten Themen noch keine Haltung entwickelt hat – oder weil sie flache, konturlose Inhalte beschließt. Beim jüngsten Parteitag in Bochum ist genau das passiert. Auch namhafte Piraten wie der Bundesvorstand Klaus Peukert beklagten anschließend öffentlich, die Piraten müssten programmatisch wieder mutiger werden. Es bringe nichts, wenn die Partei Positionen beschließe, die jeder unterschreiben könne.
Da möchte ich gern noch eine Kleinigkeit ergänzen: Warum, liebe Piraten-Vorstände, werdet ihr selbst nicht mutiger und werbt bei euren Mitgliedern für Wege abseits des Mainstreams? Mir kam der Bochumer Parteitag in vielen Situationen vor wie ein auseinandertreibender Schwarm. Inhaltlich insgesamt merkwürdig leidenschaftslos – von der Debatte um die Zeitreisetechnologie mal abgesehen. Daran könntet ihr als Vorstände etwas ändern! Ich fürchte, eine Parteispitze mit so weitreichendem Vordenkverbot wird den Piraten auf Dauer nicht nützen, sondern schaden. Euch fehlt nicht innerparteiliche Meinungsvielfalt, sondern die mutige inhaltliche Ausrichtung.
Es ist dieser Tage ziemlich angesagt, auf dem repräsentativen System und dessen Protagonisten herumzuhacken. Die Parteiendemokratie steht am Pranger, weil sie die Menschen nicht genug einbinde und ihnen zu wenig Mitmachoptionen biete, weil die Parteien durchhierarchisierte Machtapparate seien und letztlich selbst nicht so besonders demokratisch.
Das Kuriose ist: Just als Piratin habe ich nicht nur die virtuelle Schwarmintelligenz entdeckt, sondern auch die repräsentative Demokratie neu schätzen gelernt. Ja, die Piraten gelten als die Mitmachorganisation im Parteienspektrum. Aber, jetzt mal ehrlich: Stimmt das überhaupt? Die Beteiligung im Liquid Feedback ist nach wie vor eher armselig. Zu Lokalparteitagen kommt oft kaum jemand. Es sind wenige, die sich für die Piratenpartei aufreiben, die Masse der Piraten ist passiv – so wie die Mitglieder anderer Parteien auch.
Seit ich beschlossen hatte, Piratin zu werden, habe ich einige Hochs und Tiefs durchgemacht. Es gab Phasen, da habt ihr mich mit eurer Betriebsamkeit mitgerissen und mich motiviert, einen guten Teil
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