Piratin der Freiheit
konsternierte
Offizier ein, der sehr wohl wußte, wie überfordert er mit dem riesigen Berg an Problemen war, der auf seinen Schultern lastete. »Wir werden so vorgehen: Ich mache Euren Anspruch öffentlich bekannt, und wenn
bis zum vierten Tag niemand Einspruch erhebt, be-
kommt Ihr diese Genehmigung. Aber ein Drittel von
dem, was Ihr bergen könnt, fließt in einen Hilfsfond für die Opfer.«
»Ein Fünftel.«
»Ich sagte ein Drittel.«
»Und ich ein Fünftel«, beharrte Celeste. »Ihr wißt sehr gut, daß die meisten dieser Opfer tot sind und wohl keiner auf die absurde Idee kommen wird, an der gleichen Stelle eine neue Stadt zu errichten.«
Ihr Gegenüber musterte sie und raufte sich den ergrauten Spitzbart, aus dem er des öfteren Haare zupfte.
»Was für ein törichtes Mädchen…!« murmelte er.
»Ein Viertel, und ich bin einverstanden.«
»In Ordnung, wenn Eure Soldaten die Bewachung
übernehmen.«
»Gut.«
»Das möchte ich schriftlich haben.«
»Von mir aus. Noch etwas?«
»Das war’s. Einen schönen Tag noch.«
»Von wegen schöner Tag«, tönte es mißmutig zurück.
»Die meisten meiner Kameraden sind tot, und die Stadt, die ich mit aufgebaut habe, gibt es nicht mehr.« Er blickte Celeste in die Augen. »Glaubt auch Ihr, wie die meisten hier, daß der Herr Port-Royal zerstört hat, weil es die >Stadt der Sünde< geworden ist?«
Celeste Heredia war schon an der Tür. Entschieden
schüttelte sie den Kopf.
»Die Sünde wohnt nicht in den Städten, sondern in
den Herzen der Menschen, und wenn das so wäre, wie
Ihr sagt, dann müßte der Herr über die Hälfte der
Menschheit auslöschen. Guten Tag!«
»Guten Tag!«
Auf der Straße spannte das Mädchen gewissenhaft den riesigen Schirm auf, der sie vor der brennenden Tro-pensonne schützte. Ohne ihren Vater anzusehen, mach-te sie eine ausholende Geste:
»Das Erdbeben hat viele Seeleute um ihr Schiff und
viele Arbeiter um Lohn und Brot gebracht. Wenn wir
großzügig sind, dürften wir keine Probleme haben,
Hilfskräfte zu finden. Und Geld haben wir nun wirklich reichlich.«
Eine Dublone pro Tag und einen Anteil an den gebor-
genen Schätzen: Dieser Lohn war für viele Unglücks-
raben, die das Erdbeben in tiefstes Elend gestürzt hatte, mehr als attraktiv. So konnten Celeste Heredia und ihr Vater drei Tage später auf über fünfzig Arbeitswillige zählen, die ungeduldig darauf warteten, daß der betrüb-te Oberst Buchanan seine endgültige Erlaubnis gab und man endlich die in der Jacare vermuteten Schätze bergen konnte.
Erwartungsgemäß tauchte niemand auf, der unter den
vielen halbversunkenen Schiffen in der weiten Bucht den einst so gefürchteten Küstensegler des berühmten Kapitäns Jacare Jack hätte identifizieren können. So un-terzeichnete der gewissenhafte Buchanan schließlich das Dokument, das drei Viertel der Schätze, die man in den Laderäumen finden würde, Celeste zusprach. Kaum zwei Stunden später begannen die Bergungsarbeiten.
Dicke Taue spannten sich vom Festland zu dem – für
Vater und Tochter – unverwechselbaren Bug des ge-
liebten Schiffs hinüber. Die meisten Pferde, Maultiere und Ochsen, die noch am Leben waren und deren Be-sitzern man horrende Mieten zahlte, zogen das halbzerstörte Schiff von den Landzungen aus in eine seichte Bucht.
Mit dieser Plackerei ging es nur sehr schleppend vor-an, denn der übel zugerichtete, jetzt unter Wasser liegende alte Holzrumpf hätte jeden Augenblick ausein-
anderbrechen können. Dann wäre die wertvolle Ladung im schlammigen Grund der Bucht versunken. Der einzige Zimmermann der Küste, der überlebt hatte, untersuchte daher unablässig mit großer Sorgfalt das Schiff, stabilisierte es an der einen oder anderen Stelle mit Tauen und schlug sogar dicke Verstärkungsplanken ein.
Zeit hatte man schließlich genug, Vertrauen in die zerbrochenen Spanten des betagten Küstenseglers dagegen wenig.
Celeste Heredia Matamoros hatte unter einem schattigen Kapokbaum Platz genommen. Von dort aus konnte
sie jedes Detail der mühseligen Bergungsarbeiten genau verfolgen. In den folgenden drei Tagen und Nächten
rührte sie sich so gut wie nicht von der Stelle, gab Befehle oder nahm Ratschläge entgegen. Sie zeigte soviel Begeisterung und Konzentration, als wolle sie nicht nur einen wertvollen Schatz bergen, sondern vor allen Dingen einen wichtigen Teil ihrer Vergangenheit zurück-gewinnen.
Seit jenem fernen Tag, an dem ihr Hauptmann Sancho
Mendana die freudige
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