Piratin der Freiheit
der Offizier sarkastisch. »Aber so wie ich meine Eltern kenne, hätten sie mir wohl kaum einen schenken können, der auch nur die Hälfte wert gewesen wäre. Gestattet Ihr mir einen Rat?«
»Natürlich!«
»Ich kenne einen Bankier, Ferdinand Hafner, der Euch einen guten Preis für dieses Silber zahlen wird. Und für seine Kreditbriefe garantiert die Krone höchstselbst.«
»Mein Vertrauen in die englische Krone ist zwar nicht gerade grenzenlos, aber ich habe bereits selbst an Hafner gedacht«, gestand das Mädchen. »Aber warum
stellt Ihr ihn mir nicht vor?« lächelte sie vielsagend.
»Es kann doch nicht schaden, wenn uns ein Bankier
unterstützt, nicht wahr?«
Der Oberst schwitzte erbärmlich in seiner dicken Uni-formjacke. Selbst für einen wie ihn, der seit Jahren an das drückend schwüle Klima Jamaikas gewöhnt war,
war es ein besonders heißer Tag. Er wischte sich mit einem feuchten Tuch den Schweiß ab, der ihm in Strö-
men den Hals hinunterlief, und nickte entschieden.
»Das kann bestimmt nicht schaden. Vor allem einem
armen Offizier nicht, der seinen gesamten Besitz durch ein schweres Erdbeben verloren hat.«
Er verschwand in Richtung eines kleinen Dörfchens,
das sich im Norden der Bucht erhob, direkt gegenüber dem vor wenigen Tagen untergegangenen prunkvollen
Port-Royal. Dorthin hatten sich die meisten Überlebenden der Katastrophe geflüchtet. Die fanden nun, es hie-
ße das Schicksal geradezu herauszufordern, die Stadt erneut auf der Landzunge zwischen Meer und Lagune
zu errichten, so schön sie auch immer gewesen sein
mochte.
Niemandem gefiel die Vorstellung, in einem Bett zu
schlafen, unter dem Hunderte von Leichen verwesten
und eine ganze Stadt binnen Minuten begraben worden war. Darum verlagerten sich die wieder auflebenden
Aktivitäten der Insel nach und nach zwischen die
schmutzigen Hütten von Kingston, obwohl der Ort in
einer feuchtheißen und von Mückenschwärmen heim-
gesuchten Zone lag. Dort reichte die sanfte Meeresbrise nicht mehr aus, die Plagegeister ins Landesinnere zu vertreiben.
Auf der anderen Seite hatte das heftige Erdbeben vom 7. Juni nicht nur eine Stadt, sondern auch eine Lebensweise vernichtet. Ab diesem Zeitpunkt hörte die ruhige Bucht auf, eine sichere Zuflucht der Piraten zu sein.
Damit hatte deren letzte Stunde geschlagen.
Der florierende Handel mit Kaffee, Kakao, Zucker
und vor allem Sklaven erwies sich als wesentlich ren-tabler und weniger riskant als der harte Beruf derjenigen, die Galeonen überfielen. Schon forderten zahlreiche und gewichtige Stimmen, den gefürchteten Seewölfen Einhalt zu gebieten.
Der umsichtige und pragmatische Oberst James Bu-
chanan war noch immer nicht dazu gekommen, London
die gewaltige Katastrophe zu melden. In Port-Royal
gab es nämlich kein einziges Schiff mehr, das die Überfahrt hätte wagen können. Da Buchanan aber überzeugt war, daß der englischen Krone die Piratenzuflucht Port-Royal ohnehin ein Dorn im Auge war, nahm er die
Vernichtung der Stadt zum Anlaß, mit den verbrecherischen Machenschaften der Piraten aufzuräumen.
Port-Royal war das Mekka der karibischen Piraten gewesen: Kingston würde von nun an das Mekka des
Sklavenhandels für den karibischen Markt sein.
Unter dieser Entscheidung sollten im Verlauf des folgenden Jahrhunderts Millionen von Menschen leiden.
Oberst James Buchanan war nun beileibe kein Rassist, er fand nur einfach, daß die massive Einfuhr afrikanischer Arbeitskräfte in die Neue Welt ein legales Geschäft war, von dem sowohl Käufer wie Gekaufte profitierten.
Schließlich hatten die Königin von England höchst-
selbst, Prinz Rupert und der Herzog von York die zu trauriger Berühmtheit gelangte Royal Africa Company gegründet. Diese spezialisierte sich auf Gefangennahme und Verkauf von Sklaven. Warum sollte also ein hervorragender königlicher Offizier nicht blind daran
glauben, daß das, was unter der Schirmherrschaft Ihrer Gnädigen Majestät stand, automatisch richtig sein muß-
te?
Die meisten Eingeborenen Westindiens waren den aus
Europa eingeschleppten Epidemien zum Opfer gefallen oder in den von Europäern angezettelten Kriegen um-gekommen. Die fruchtbaren Böden Westindiens konnte
man daher nur ausbeuten, wenn man untertänige starke Arbeitskräfte einführte, die dem schwülheißen Tropen-klima gewachsen waren.
Und diese Arbeitskräfte konnte man nur in Afrika finden.
Oberst James Buchanan hatte nicht die geringste Vorstellung, welche ethischen und
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