Piss off! Ein Engel zum Fürchten (German Edition)
grüßte, als sie mich sah. Mein Sprachzentrum löste sich auf und versagte den Dienst. Es war, als hätte sich mich in flagranti ertappt. Am liebsten hätte ich geschrien: „Glaub mir, das mit Jutta, das war ein Versehen. Es kommt nicht wieder vor. Dich! Dich liebe ich doch!” Und während ich stumm vor ihr stand wie ein Konfirmant, der dabei erwischt wurde, dass er das Vaterunser nicht kennt, schenkte sie mir ein Lächeln, das mir die Herzkammern sprengte.
„Siehst aus, als hättest du `ne wilde Nacht gehabt”, urteilte sie.
„Ja, äh ... ich ... ich ...”, stammelte der Blödmann in mir.
„Du solltest mal duschen. Du riechst, als hättest du einen ganzen Harem gefickt.”
Alle Anwesenden kriegten mit, was Diana da sagte, drehten die Köpfe und starrten mich an. Ich versuchte, den Verkäuferinnen ein entschuldigendes Lächeln zu schenken, aber es prallte von ihnen zurück wie ein Ball. Als ich mich wieder umsah, war Diana verschwunden. Draußen vor der Bäckerei stieg sie in einen R5, auf dessen Heckscheibe ein Jesus-Aufkleber prangte.
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Friederike und ihre Schwester irrten umher. Waren sie zuerst in Richtung Westen weitergezogen, korrigierten sie ihren Kurs einige Tage darauf, als sie in der Ferne russische Soldaten an einem Waldrand entdeckten, die einen Trupp abgerissener Männer abführten. Von nun an marschierten sie nordwärts, aufs Meer zu. In einer Kate stießen sie auf eine ausgemergelte Frau mit einem irren Blick in den Augen. Zu ihren Füßen lagen zwei Kinder – verhungert. Auf einer improvisierten Feuerstelle köchelte Essen.
„Es hat ihnen nichts mehr genutzt”, sagte die Frau. “Aber euch, euch kann es nutzen, wenn ihr jetzt esst. Ihr werdet eure Kräfte noch brauchen, also nehmt euch. Greift doch nur zu!”
Doch als Friederike denn Topfdeckel hebt, beginnt sie zu würgen. Teile eines menschlichen Beines stecken im Topf. Und jetzt erst sehen die beiden jungen Frauen, dass die andere in einer Lache aus Blut hockt – dass ihr ein Bein fehlt. Sie werden diese Szene nie wieder vergessen. Noch Jahre später werden sie aus dem Schlaf schrecken und schreien.
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Meine neue Bleibe befand sich in der Brüsseler Straße – ein kleines Apartment, dessen einziges Fenster in einen Hinterhof wies. Wenn es andere Mieter gab, bekam ich sie nicht zu Gesicht. Aus den Wohnungen über, unter oder neben mir drang nie ein Geräusch. Keine Stimmen, keine Radiomusik, nichts. Ich hätte hocherfreut sein sollen, war es aber nicht. Alles in dem Zimmer sagte mir, dass es auch diesmal wieder nur eine Übergangslösung war, ein Intermezzo, aber kein Zuhause. Ich strich die Wände, schaffte meine Habe aus Juttas Wohnung herüber und rief bei Monty an, um sicherzugehen, dass er nicht da war. Dann machte ich mich auf, um meine restlichen Sachen zu holen und endgültig einen Schlussstrich zu ziehen.
Als ich mit dem geliehenenen Transporter auf der Zülpicher Straße parkte, begann es zu nieseln. Ich eilte in den Hausflur und stieg die Treppe hinauf. Auch hier war es merkwürdig still. Ich suchte nach dem alten Wohnungsschlüssel und steckte ihn ins Schloss – als mir auffiel, dass Dianas Tür nur angelehnt war. Ein ungutes Gefühl sprang mich an, eine dunkle, finstere Witterung. Und im selben Moment hörte ich das leise Wimmern. Es klang beinahe stimmlos, wie nach innen gerichtet, unwirklich. Beunruhigt öffnete ich die Tür etwas weiter und horchte hinein. Ich hatte mich nicht geirrt: Aus dem Inneren der Wohnung schwamm mir ein ersticktes Schluchzen ans Ohr.
Ich fand sie auf dem Küchenboden vor dem Kühlschrank. Sie war übel zugerichtet und hielt, in Embryonalstellung liegend, ihre Beine umfasst. Tränen flossen ihre Wangen hinab. Als ich sie ansprach, reagierte sie nicht, sie stand unter Schock. Überall klebte ihr Blut, und als ich zum Telefon eilte, um den Notarzt zu rufen, knirschte es unter meinem Schuh. Ich war auf einen ihrer ausgeschlagenen Zähne getreten.
Nachdem ich den Notarzt verständigt hatte, kehrte ich zu Diana zurück. Ihr schwarzes Kleid war zerrissen, an ihrem Hals Würgemale zu sehen. Doch weder dies noch ihr geschwollenes Gesicht weckten meinen Zorn und Ekel, sondern etwas anderes: Der Täter hatte ihr mit dicken, schwarzem Filzstift das Wort Hure auf die Stirn gemalt.
Endlose Minuten, während ich wartete, saß ich da und hielt sie im Arm. Als ich plötzlich begriff. Als ich mit einemmal wusste, wer der Vergewaltiger war.
„Es war der Ledertyp, stimmt’s? Es
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