Pitch (German Edition)
verloren hat, zeigt
sie nicht, stattdessen fragt sie, ob sie jemanden, einen Beistand,
vorbeischicken oder ob sie selbst kommen soll, nein, danke, sagt
Gertrud Keiser, sie ist gefasst, trotzdem wird Inge gleich nachdem
sie aufgelegt hat, einen Blumenstrauß in Auftrag geben, sie
verständigt alle erforderlichen Stellen, zuallererst das
Sekretariat Mellendorfs, dann, nachdem sie alle Telefonate erledigt
hat, beginnt sie, Ihre Sachen zu ordnen, sie lässt sich von der
internen Versandabteilung einen Karton bringen und packt ein, denn
hier wird sie nicht bleiben, sie zieht die Schublade auf und nimmt
das Bild heraus, das sie sich verboten hat, auf den Schreibtisch zu
stellen, es ist erst zwei Wochen alt und zeigt Karl und sie am Comer
See auf ihrer letzten gemeinsamen Geschäftsreise.
9
Durch
das Glas des Aquariums, …
... das im
Eingangsbereich von Magellan’s Ads steht, bietet sich den
Fischen ein Spiel verschwommener Lichtreflexe und Bewegungen, wild
wechseln sich Farben in allen Schattierungen ab, es ist ein Gleißen,
Glimmern und Glitzern, sie schwimmen scheinbar schwebend, sie warten
nur auf ihre tägliche Fütterung, und sobald das krümelige,
gepresste Fischmehl körnerweise ins Wasser geworfen wird und
langsam zum Grund sinkt, reißen sie ihre zahnlosen Mäuler
auf und schnappen danach, nur wenige dieser Körner gelangen bis
zum Grund, manche verfangen sich in den Wanten, Segeln und Masten
eines Piratenschiffs, das irgendjemand einmal in diesem Bassin
versenkt hat, wer genau hinschaut, kann an seinem Heck noch die
Buchstaben des Namens entziffern, SANTIAGO, wie auf einem
Gespensterschiff stehen die ertrunkenen Piraten noch immer auf Deck
und recken, ein Auge mit Klappe bedeckt, Säbel und Pistolen in
die Höhe, stille Schreie ausstoßend, als sei da noch ein
Kauffahrtschiff zu entern, ein Schatz zu erobern, eine Jungfrau zu
rauben, aber alles, was es da zu rauben gibt, reißen sich die
Fische unter die Flossen, manchmal landen auch ein paar Körner
in der offenen Schatztruhe, die dort im Sand versackt ist, dann
versammeln sich die Fische, um aus ihr zu fressen, nichts merken sie
von der Spannung jenseits der Scheibe, die in dem Glasgebäude
herrscht, das sich langsam mit Menschen füllt, die ihre Rechner
starten, in die Cafeteria gehen, um sich einen Cappuccino zu machen
und eine Zigarette zu rauchen, bevor das tägliche
Ellenbogenstoßen, das große Hauen und Stechen beginnt.
10
Er
ist noch nicht tot, …
… noch
nicht ganz, denkt Dr. Kurt
Pfleghar, der Hausarzt und Freund Karl Keisers beugt sich über
den Leblosen, der auf die Couch im Salon gebettet worden ist,
Gertrud, denkt er, hat ihn nicht angerührt, noch steckt Leben in
ihm, er fühlt es und er fürchtet es, er wird den Notarzt
rufen, der Karl mitnehmen und noch einmal an sämtliche Maschinen
anschließen wird, an die Herz-Lungen-Maschine, ans EEG und EKG,
man wird ihn verkabeln und seine Hirnströme messen, man wird
noch etwas Geld mit ihm verdienen, schließlich ist er eine
Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, ein
Wirtschaftsmagnat, ein großer Mann, den man nicht so einfach
abtreten lässt, wären der Chauffeur und die Haushälterin
nicht da, würde er mit Gertrud reden und Karl alles weitere
ersparen, aber da sind Leute, die letztlich niemandem verpflichtet
sind, zu groß ist das Risiko, wer redet nicht gerne mit der
Presse, wenn man was zu sagen hat, wie schnell belastet man dann
nicht auch den Hausarzt, also Karl, mach es gut, ich hätte dir
den allerletzten Abschnitt gerne erspart, aber glaub mir, du wirst
davon nicht viel spüren, gar nichts, wir werden nur dafür
sorgen, dass du dich nicht einfach so davonstiehlst, und selbst wenn
wir ganz sicher sind, dass wirklich kein Leben mehr in dir ist,
lassen wir noch einen Pathologen sicherheitshalber einen letzten
Blick auf und in dich werfen, und am Schluss werden wir verkünden,
was wir in unseren Büchern gefunden haben, mit großer
Geste versteht sich, in weißen Kitteln, wie sich das gehört,
dass du tot bist, gestorben an einer verstopften Ader im Gehirn, bei
völlig gesunden inneren Werten, mit einer astreinen Leber, gut
funktionierenden Nieren, unauffälligem Magen und Darm, alles
werden wir offenlegen, denn auch wir können mit der Presse
reden, wir werden dafür sogar eigens eine Pressekonferenz
veranstalten, heute Abend wird sie sein, spätestens morgen früh.
11
Ihr
Urlaub ist gelaufen, …
... das hat
Klara Worbs an Gertruds Stimme gehört, die ruhig geklungen
hatte,
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