Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter
vorübergehend gewesen, sonst wäre er dort nie wieder rausgekommen.
Nach der Auslösung des Alarms waren die sensiblen Bereiche des Reaktors automatisch abgeriegelt worden. Schließlich hatte man jederzeit damit rechnen müssen, dass dem Bedienpersonal etwas zustößt und im Reaktor nach dem Aufbrauchen des Kühlwassers eine Kernschmelze einsetzt. Deshalb die automatische Abriegelung. Das automatische Schutzsystem hatte ihn im Kontrollbereich eingeschlossen, direkt in der Reaktorhalle. Verkehrte Welt: Der Schutzmechanismus, der eigentlich dazu da war, den Austritt von Strahlung in die Umwelt zu verhindern, hatte in diesem Fall eine Verstrahlung des Reaktors von außen verhindert.
Der alte Mann beendete seine Arbeit. Der Gasmaskenträger in seinem braunen Schutzmantel lag fertig ausgegraben vor ihm. Seine Füße steckten in gummierten Überschuhen. Die Arme waren ausgestreckt. Die Okulare blickten stoisch. Er war schon seit über zwanzig Jahren tot.
Jetzt musste er beerdigt werden.
Fjodor steckte die Schaufel in den Sand und packte den Toten an seinem Mantel. Hau ruck!
Komm schon, Junge. Wir suchen ein hübsches Plätzchen für dich.
»Mein Plan ist folgender«, begann Iwan. »Ich muss an die Oberfläche und irgendwie zum Leningrader Atomkraftwerk kommen. Und ich muss von dort wieder zurückkehren.« Pause. »Ich muss unbedingt wieder zurückkehren. Kannst du mir dabei helfen?«
Mandela sah ihn schief an.
»Darf ich ehrlich sein?«
»Ja.«
»Ihr seid doch nicht mehr ganz dicht.«
Du bist so gut wie tot. Was du jetzt wahrnimmst, ist das Absterben deiner Gehirnzellen.
»Mag sein«, erwiderte Iwan. »Aber das ist keine Antwort auf meine Frage.«
Mandela trat von einem Bein auf das andere.
»Na ja, wenn es euch hilft … Ich habe hier an der Technoloschka einen Freund«, erklärte Mandela. »Weißt du noch, ich hatte dir von ihm erzählt?«
»Ja. Was ist mit ihm?«
»Er ist Astronom. Besser gesagt, Astrophysiker.«
»Und wie heißt dein Astrophysiker?«
»Sterndeuter.«
Iwan zog die Augenbrauen hoch.
Der Oberführer sah den Schwarzen misstrauisch an.
»Willst du uns verarschen?«, fragte er.
Die Doppelstation Technoloschka bestand aus den beiden Stationen Technologitscheski institut 1 und Technologitscheski institut 2 . Hier herrschte ein Gewimmel wie in einem Ameisenhaufen. Oder wie in einem Rattennest, in das man eine Brandbombe geworfen hatte. Die Station qualmte, zischte und sprühte Funken, dass einem Hören und Sehen verging. Die Ratten machten jedoch keinerlei Anstalten, das Weite zu suchen – schließlich waren sie Wissenschaftler. Vom anderen Ende der Station wehte der Gestank von Lötblei und heißem Metall herüber.
Die Technoloschka nahm innerhalb der Metro eine Sonderstellung ein. Ursprünglich hatten sich an den beiden Stationen die Studenten und Lehrkräfte des in unmittelbarer Nähe gelegenen und namengebenden Technologischen Instituts angesiedelt (interessanterweise überwiegend Chemiker). Doch im Laufe der Zeit waren auch Menschen aus anderen Gegenden zur Station gestoßen: Technikfreaks aller Art und fast jeder, der irgendetwas mit Wissenschaft und Lehre am Hut hatte. Der Tätigkeitsschwerpunkt an der Technoloschka lag naturgemäß im technischen Bereich. So produzierte man hier Batterien, Akkus, chemische Grundstoffe für Nahrungsmittel und viele andere Dinge, deren Namen man an anderen Stationen längst vergessen hatte.
Doch die mit Abstand wichtigste Aufgabe der Technoloschka war die Instandhaltung der altersschwachen technischen Anlagen der Metro. Immer dann, wenn Entwässerungsstationen, Beleuchtungs- oder Belüftungsanlagen ausfielen, waren die Experten der Station gefragt – die Masuten, wie man sie in der Metro nannte.
Im Übrigen fühlten sich die Bewohner der Technoloschka dazu berufen, der Menschheit ein halbwegs akzeptables intellektuelles Niveau zu erhalten. Ein durchaus löblicher Vorsatz, denn in dieser Hinsicht war es in den Jahren nach der Katastrophe zu einem rapiden Verfall gekommen.
Wodjaniks Ausführungen im Hinterkopf, sah Iwan sich um. Die Vorabinformationen des Professors waren gewiss nützlich, doch es konnte nicht schaden, sich ein eigenes Bild zu machen. Die Station war in der Tat bemerkenswert. Grauer Marmor, rechteckige Säulen, diskrete Beleuchtung. Obwohl ausnahmslos alle Lampen funktionierten, war das Licht hier wesentlich angenehmer als zum Beispiel an der Majakowskaja .
Mandela ging voraus. Über eine Treppe gelangten sie in den schmalen,
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