Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter
erinnerte an zu Hause: dieselbe Bauweise (der »horizontale Aufzug«), der gewohnte helle Marmor und die Stahltüren zu beiden Seiten des Bahnsteigs. Die Station war nur breiter und wesentlich länger als die Wassileostrowskaja , und die Türen zum Tunnel standen offen. Was hatte man hier auch zu befürchten? Höchstens … Iwan sah sich um. Tatsächlich. Am Eingang entdeckte er die wohlbekannten Marinejacken. Auch hier wimmelte es von Admiralzen. Ob sich die wohl durch Teilung vermehrten?
Die Männer von der Wassileostrowskaja wurden freundschaftlich und ohne überflüssiges Brimborium empfangen. An der Gostinka – wie man diese Station gemeinhin nannte – fühlte sich Iwan wieder als vollwertiger Bürger der Allianz. Ein älterer Mann reichte ihm lächelnd die Hand. Seine Zugführeruniform war blau und so alt wie der Auszug der Israeliten aus Ägypten.
»Schlechte Zeiten – dafür angenehme Gäste«, sagte er. »So der Herr der Tunnel denn will, werden wir euren Dieselgenerator zurückholen.«
Auch die Stationsbeleuchtung war Iwan vertraut: Natriumlampen hinter Aluminiumblenden. An manchen Stellen hingen gewendelte Energiesparlampen herab. In den letzten Jahren vor dem Jüngsten Tag, erzählte Wodjanik, war das halbe Land auf diese Lampen umgestiegen. Anders als an der Admiraltejskaja ging man hier mit dem kostbaren Strom sparsam um. An der Station herrschte ein behagliches Halbdunkel. Nur am nördlichen Ende des Bahnsteigs drang helles weißes Licht aus dem Durchgang zum Newski prospekt – dort hingen, wie sich Iwan erinnerte, Tageslichtlampen von der Decke, und darunter befanden sich auf der ganzen Länge des Durchgangs Gemüseplantagen und Kinderspielplätze. Die Kinder kamen in den Genuss der UV-Strahlung und halfen gleichzeitig bei der Versorgung der Station mit Grünzeug mit.
Die Digger betraten den Bahnsteig. Gladyschew pfiff beeindruckt durch die Reste seiner Zähne. Pascha legte den Kopf in den Nacken und starrte mit offenem Mund auf den bis zur Decke reichenden Wohnblock, der aus vier Stockwerken bestand. Dort pulsierte das Leben. Auf Leinen, die über dem Bahnsteig gespannt waren, hängten Frauen Hemden, Unterhosen, Leintücher und Windeln auf. Wasser tropfte herab. Überall liefen spielende Kinder herum. Im dritten Stock reckte eine ganze Horde die Köpfe, um die Ankömmlinge von der Wassileostrowskaja zu beäugen. Der Wohnblock nahm etwa ein Drittel der Station ein und erzeugte einen beachtlichen Lärmpegel: Erwachsene riefen geschäftig durcheinander, Kinder krakeelten und irgendwo ganz oben schrie ein Säugling. Im Anschluss an den Wohnblock befand sich der Markt, dahinter die Gästezelte für Besucher und ein paar Cafés.
Alles so, wie es sich gehört, dachte Iwan. Wäre das nicht auch ein schöner Fleck für die Flitterwochen? Ob es Tanja hier gefallen würde?
Wenn es nur nicht so laut wäre …
»Folgt mir«, sagte der Mann in der Zugführeruniform und führte sie über den ganzen Bahnsteig.
Unterwegs betrachtete Iwan die Abwärtstreppen, die in den Durchgangstunnel zum Newski prospekt führten. Unglaublich, wie riesig diese Station war. Hier hätte man problemlos Fußball spielen können.
Iwan und seinen Leuten kamen zwei junge Frauen entgegen, die auf schier endlos langen Beinen über den Bahnsteig schwebten. Beide trugen Kopftücher, die eine ein rotes, die andere ein gelbes.
»Sieh mal einer an«, sagte Sasonow und blieb stehen. »Ich glaube, wir sind im Paradies gelandet, Leute!«
Die jungen Frauen lächelten und die mit dem gelben Kopftuch schenkte Sasonow sogar einen aufreizenden Blick. Er war ja auch ein stattlicher, gut aussehender Kerl. Iwan wollte schon bedauern, dass die Aufmerksamkeit nicht ihm galt, als ihn plötzlich die mit dem roten Kopftuch ins Visier nahm. Dann senkte sie kurz den Blick und schaute abermals. Pures Feuer. Iwan war sofort bester Stimmung.
Was will man mehr als Mann?
Eben.
Es hieß, dass an der Gostinka und am Newski prospekt die hübschesten Frauen der gesamten Metro lebten.
»Für das Paradies hier gibt es eine ganz einfache Erklärung«, schlaumeierte Pascha. »Vor der Katastrophe gab es hier an der Oberfläche Einkaufszentren für Superreiche. Und das Verkaufspersonal wurde natürlich so ausgewählt, dass sich die Kunden beim Einkaufen wohlfühlten und was zu gucken hatten – also lauter attraktive junge Frauen. Und dann landeten all diese Schönheiten hier unten, an der Station. So ein Glück muss man erst einmal
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