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Pixity - Stadt der Unsichtbaren

Pixity - Stadt der Unsichtbaren

Titel: Pixity - Stadt der Unsichtbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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sie überhaupt kommen würde, ausgerechnet in den 4. Stock, hierhin. Aber er wartete ja nicht auf Anna. Er wartete auf eine andere Person, und die würde erscheinen.
    Schritte, die näherkamen. Jemand, der hustete, ein Mann auf quietschenden Ledersohlen. Die Nachbartür wurde geöffnet und wieder geschlossen. Bentner ging ins Bad, das genauso aussah wie vermutet, und hielt den Kopf unter kaltes Wasser. Er frottierte sich die Haare, betrachtete sich im Spiegel, kämmte sich und sah aus wie einer, der mit viel Pomade arbeiten muss, um in der Disko nicht den ganzen Abend allein zu sein.
    Wieder Schritte, eine halbe Stunde später. Diesmal das bekannte Klackklack von Pfennigabsätzen, wieder bis zum Nachbarzimmer. Die Frau klopfte nicht, sie trat einfach ein, Bentner hörte ein Lachen des Mannes und ein Lachen der Frau, dann Stille.
    Er startete den Computer. Nach Pixity war das Leben zurückgekehrt, eine pulsierende Kleinstadt im Nirgendwo und Überall, nebenan im Zimmer begann die Matratze mit hoher Stimme zu intonieren, Auftakt einer akustischen Veranstaltung, die so enden würde, wie man sich die Ekstase vorstellte, mit einem Schrei vielleicht oder einem gestöhnten, anschwellenden Duett nach obligatorischer Partitur. Kleine putzige Männchen, die in Pixity hin und her liefen, »hi« sagten, »bin 14 und such wer die mit mir red«. So schnell verschwanden, wie sie gekommen waren.
    Bentner grinste. Warum stellte man sich immer vor, was man nicht sehen konnte? Nur hören oder lesen? Zwei kopulierende Menschen im Nebenzimmer, denen man vage Gesichter gibt, ein ungefähres Alter, eine von der eigenen Praxis abgeleitete Dramaturgie der erotischen Turnübungen oder, wenn es einen denn wirklich erregen sollte, eine Bebilderung von Wunschvorstellungen.
    So sah Bentner ein Paar mittleren Alters vor sich, er etwas älter als sie, beide verheiratet, aber nicht miteinander, sie trafen sich, um – wie spät war es eigentlich? Zehn nach zwölf, merkwürdige Zeit für ein Schäferstündchen – zwischen zwei familiären Verpflichtungen, sie …
    Ein heftiger Hustenanfall des Mannes hatte sich über den gemäßigt orgiastischen Schrei der Frau gelegt, knappe zwanzig Minuten – Bentner hatte auf die Uhr geschaut, als die Matratze zu singen begann –, das Husten ging in eine Art Hirschröhren über, dann war es wieder ruhig. Bentner rief Sarkovys Ordner mit den Chatprotokollen auf.
    Er hatte sich hinter Pseudonymen verborgen, sieben zählte Bentner, es mochten noch mehr sein, er blickte nicht ganz durch. Junge Mädchen, junge Männer, eine Frau von 35, die eine vierzigjährige Frau in längere Dialoge verwickelte, eine Frau, die zuvor von Sarkovy als fünfzehnjähriger Junge becirct worden war und sich ihm schriftlich hingegeben hatte. Sie seien quasi Kolleginnen, schrieb die Fünfunddreißigjährige, den Knaben habe sie auch gehabt, sogar entjungfert und, nein, die andere müsse sich nicht für das Anlernen bedanken. Sei doch gerne geschehen.
    Eine Korrespondenz entwickelte sich, Phantasien wurden ausgetauscht, die Fünfunddreißigjährige, sie nannte sich »su«, erzählte detailliert von Entjungferungen, ganzen Orgien, schickte Ansichten nackter junger Männer, die wiederum eine sechzehnjährige »ela« angespitzten Jungs im Tausch abgeknöpft hatte. Ela war auch lesbisch und chattete mit anderen Mädchen, tauschte Bilder mit ihnen, machte Cyber Sex. Sarkovy musste ein Dokument vorgefertigt haben, aus dem man passende Sätze herauskopieren und verschicken konnte. »Ich lege meinen Kopf zwischen deine Beinchen, und beginne deine Oberschenkel zu lecken.« Diesem Satz begegnete Bentner vier Mal, zwei Mal mit dem inkorrekten Komma, was aber dann berichtigt worden war. Die Gespräche mit Layla-Anne fand Bentner nicht unter den Aufzeichnungen. Sarkovy musste sie gelöscht haben, eine Panikreaktion, das Vergessen eines Traumes.
    Im Nachbarzimmer war ausgiebig geduscht worden, etwas schien umgefallen zu sein, vielleicht der Mann in der zu engen Kabine. Die Frau ging als erste, klackklack. Und der Mann? Rauchte eine letzte Zigarette, blies den Rauch durch den Fensterspalt, denn erstens durfte man eigentlich nicht auf den Zimmern rauchen und zweitens konnte man auch hier die Fenster nur kippen und drittens hustete er wieder erbärmlich. Nach zehn Minuten verließ er das Zimmer, entfernte sich, hustete ein letztes Mal den Korridor entlang.
    Ein Mann mit vielen Gesichtern, dachte Bentner und las weiter. Was für eine törichte

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