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Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis

Titel: Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel G. Keohane
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hat sie nie getan. Ihr lag etwas an den Menschen – an mir, an jedem.« Gem blickte auf ihre Notizen hinab, doch die Worte verschwammen, erschienen ihr in diesem Augenblick in einer fremden Sprache verfasst zu sein.
    Ich werde nicht weinen , dachte sie. Es war ein Mantra, und sie hatte es in Gedanken seit dem Betreten des Sanktuariums bereits so oft wiederholt, dass es nicht verwunderlich gewesen wäre, hätte sie es letztlich laut ausgesprochen. Sie konnte ihre Notizen nicht lesen, doch sie wusste, dass die Zeit zu erklären, was diese Freu für sie bedeutet hatte, knapp bemessen war, also schaute sie auf und holte tief Luft. Ihre Mundwinkel zuckten angesichts eines inneren Kampfs, den die meisten Anwesenden nachvollziehen konnten. Fast alle diese Menschen stammten aus der Gemeinde und hatten Joyce gekannt. Dieses Wissen half Gem ein wenig.
    »Ich kann meine Notizen nicht lesen«, gestand sie schließlich. Eine Träne kullerte ihr übers Gesicht, gefolgt von einer weiteren. Wenigstens blieb ihre Stimme ruhig, was ihr die Kraft verlieh zu improvisieren. »Einige von uns, die wir uns hier versammelt haben, verdanken Reverend Lindu viel. Meine winzigen Problemchen waren nichts im Vergleich zu denen der Familien, die Joyce wirklich brauchten, die sie als Freundin betrachteten, die helfen wollte und es auch tat. So viele Menschen ...« Sie schwenkte eine Hand durch die Luft, als wollte sie den Gedanken verwerfen. »Ihre Missionsarbeit unten im Süden haben bereits genug Leute erwähnt.« Sie grinste. »So hat sie es genannt – unten im Süden .« Aus der Menge ertönte zustimmendes Gemurmel.
    Erneut setzte Gem ab, war nicht sicher, wie sie fortfahren sollte. Plötzlich spielte es keine Rolle mehr, was sie auf die Spickzettel geschrieben haben mochte. Nachdem Joyce und sie einander richtig kennengelernt hatten, hatte sie eine Menge über ihre Vergangenheit erfahren. Nach dem peinlichen Fiasko im Haus der Watts’ begann Gem, regelmäßig den Gottesdienst zu besuchen. Joyce brauchte nur eine beiläufige Bemerkung über etwas aus ihrer Vergangenheit anzubringen, und in Gems Kopf tauchten weitere Einzelheiten dazu auf. Wenn sie sich danach erkundigte, wirkte Joyce stets überrascht, zumindest anfangs, dann nickte sie. Sie scherzten oft, dass es eine mentale Verbindung zwischen ihnen geben musste, und vielleicht stimmte das sogar. Anders konnte Gem es sich nie erklären. Im Verlauf der Zeit vertraute Joyce ihr alles an – über ihre Tochter ebenso wie über Ray. Gem erzählte ihr nie von der Begegnung mit Mr. Lindu, bevor die Watts das Haus kauften, aber manchmal fragte sie sich, ob Joyce es trotzdem wusste. Wieder diese mentale Verbindung.
    Die meisten Menschen hatten keine Ahnung, wie schlimm Joyces Leben mit ihrem Mann gewesen war. Es hatte keinen Sinn, ihre Illusionen jetzt zu zerschmettern. Allerdings musste sie irgendetwas sagen. Gem wagte nicht, zu ihrem Mann zu schauen, der ihre seltene Wortkargheit belustigt beobachtete. Sie könnte über den Altar erbrechen, und Paul würde es bezaubernd finden. Ihre Zeit lief ab.
    »Ich wünschte«, setzte sie an. Die Kirche verschwamm vor ihren Augen, und Gem hatte Mühe, den letzten Gedanken zu Ende zu führen. »Ich wünschte, ich hätte ihr gesagt, dass sie, wenn sie nicht weggegangen, sondern hier geblieben wäre, eine großartige Pastorin gewesen wäre. Das hatte sie davor bereits jahrelang bewiesen. Wir alle haben es selbst erlebt. Aber sie musste gehen, für sie bestand kein Zweifel daran, und ich bin froh, dass sie es getan hat.« Gem räusperte sich. »Ich denke, sie war ebenfalls froh darüber.« Als sich ihre Brust anfühlte, als müsste sie zerspringen, klopfte sie mit den ungelesenen Spickzetteln auf das Podium und fügte hinzu: »Danke.« Damit ging sie unsicher um die Plattform herum.
    Paul Brooke erhob sich von seinem Platz und kam ihr am Geländer des Sanktuariums entgegen. Gem hakte sich bei ihm ein, und zusammen kehrten sie zu ihrer Kirchbank zurück, zwei Reihen hinter dem reservierten Bereich. Sie lehnte sich an ihn, war von ihrem Ehemann verzauberter als an dem Tag, an dem sie endlich den Mut aufgebracht hatte, ihn zu ihrer ersten Verabredung einzuladen. Das war kurz nach ihrer Verwandlung zu einer regelmäßigen Kirchgängerin in Saint Cecilia gewesen. Paul weigerte sich bis zum heutigen Tag, eine andere Erklärung dafür zu akzeptieren als seine beiläufige Einladung an dem Abend, an dem er geholfen hatte, den Altar aus der alten Kirche zu tragen. Gem

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