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Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis

Titel: Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel G. Keohane
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Hauptstraße abzweigte, die von der Grenze aus von Osten nach Westen führte. Die Liegenschaft, die sich seit achtundvierzig Jahren dort befand, hatte unlängst von der lange erwarteten Angliederung an den katholischen Missionsorden Maryknoll profitiert, dennoch fehlte es in den wenigen, kargen Gebäuden stets an allen Ecken und Enden.
    Bill Watts löste das weiße Hemd von seiner verschwitzten Brust. Er fächelte sich damit in einer Geste Luft zu, die längst zu einer unterbewussten Gewohnheit geworden war. Selbst so früh am Vormittag erreichten die Temperaturen bereits 27 Grad Celsius, und die Luft strotzte vor Feuchtigkeit. Bis zur Mittagszeit, wenn die Kinder in der relativen Kühle des Schlafsaals ein Nickerchen machten, würde es noch schlimmer werden. Derzeit kümmerten sich die Schwestern um elf Bewohner. Im Augenblick saßen nur zehn am Tisch und genossen das Frühstück. Schalen wankten gefährlich nah am Rand des langen Tischs und wurden gekippt, um die letzten Löffelreste herauszuschaufeln. Bill lächelte. Diese Kinder liebten es zu essen.
    Der vierjährige Sovann, dessen Magen sich nie zu füllen schien, hielt seine leere Schale hoch und fragte mit allem – beträchtlichen – Charme, den er aufzubringen vermochte: »Ow kinyum sum wunteptip, Pappa?«
    Obwohl Bill den Ort seit neun Jahren bereiste und jeweils vier Monate blieb, beherrschte er die Sprache noch nicht – jedenfalls nicht so gut, wie er seiner Meinung nach sollte. Die Worte fühlten sich zu unnatürlich auf der Zunge an. Aber zumindest verstand er die an ihn gerichteten Worte recht gut, wenngleich man kein Sprachengenie sein musste, um die Bedeutung einer leeren, hoch gehaltenen Schüssel zu verstehen.
    Bill ergriff die Schale und schaute über den Tisch zu einer grauhaarigen Nonne, die versuchte, zwei um einen Löffel zankende Kinder zu trennen. Kalliyan hatte den ihren auf den Boden fallen gelassen, sich sogleich den ihres jüngeren Bruders geschnappt und behauptete, der schmutzige wäre seiner.
    »Schwester, haben wir genug für einen Nachschlag?« Solche Fragen wurden immer auf Englisch ausgesprochen. Die älteren Kinder verstanden sie in der Regel, dennoch ließ sich so zumeist eine Stampede verhindern, wenn die Antwort ›ja‹ lautete.
    Schwester Angelique beruhigte die Geschwister mit einem Schlag auf die Schultern und scharfen Worten. Dann griff sie zur großen Schüssel und neigte sie leicht. Das silbergraue Haar trug sie in einem langen, mit einem blauen Band verknoteten Pferdeschwanz über dem Rücken. Sie behauptete, erst sechsundfünfzig zu sein, die tiefen Runzeln und die fleckige Haut an ihren Armen und ihrem Hals jedoch deuteten auf etwas anderes hin. Bill vermutete, dass die Arbeit in einer so extremen Umgebung einen Menschen schneller als üblich altern lassen konnte.
    Angelique neigte die Schüssel vor und zurück. Dabei achtete sie darauf, weder den Kopf zu schütteln, noch zu nicken, um der wachsenden Zahl der Kinder, die ihre Schalen erhoben, ihre Antwort nicht preiszugeben. Schließlich sagte sie: »Geben wir zuerst dem Geburtstagsmädchen seine Portion und schauen dann, wie viel noch übrig bleibt.«
    Eines der älteren Mädchen, eine Elfjährige, die Englisch fließend beherrschte, senkte die Schale enttäuscht. Der kleine Sovann blickte Bill weiter fragend an. Bill gab ihm seine Schale zurück und hob einen Finger zu einer Geste, die von den Kindern rasch gelernt worden war. Sie besagte: Wartet, ich muss etwas überprüfen. Dann wandte er sich vom Tisch ab und ging über den Hof zur Kapelle. Unterwegs schlug er nach den wenigen Moskitos, für welche die Hitze noch nicht unerträglich geworden war.
    Die innere Tür der Kapelle stand offen, die äußere, die als Insektenschutz diente, war geschlossen, ließ jedoch die seltenen Brisen hindurchwehen. Bill hob die Hände ans Gesicht und spähte durch das engmaschige Gitter, schwieg jedoch, wollte zuerst die Lage drinnen abwägen.
    Seyha saß mit untergeschlagenen Beinen auf dem Boden vor dem Sanktuarium. Auf ihrem Schoß kauerte das Geburtstagsmädchen, dessen offizieller Name Mary lautete. Sie war vor einem Jahr auf dem Pfad ausgesetzt worden, der zum Missionsgelände führte. Ihre Hände und Füße waren mit Zwirn gefesselt gewesen, um zu verhindern, dass sie aus ihrem großen Flechtkorb entkommen konnte. Die Schwestern hatten das Alter des Mädchens auf zwei Jahre geschätzt, als sie es dehydriert und brüllend vor Angst fanden. Da sie keinerlei Informationen als

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