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Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis

Titel: Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel G. Keohane
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wusste nicht einmal mehr, was er damals zu ihr gesagt hatte, doch er bestand darauf, und sie widersprach ihm nicht. Es klang romantisch und passte voll und ganz zu Paul.
    Rebecca Lindu streckte von ihrem Platz in der vordersten Reihe die Hand aus, als Gem vorbeiging, und drückte sanft ihren Arm. Sie war es gewesen, die Gem auf die Liste der Rednerinnen gesetzt hatte. Gem hoffte, keine allzu peinliche Vorstellung geliefert zu haben. Becs Freundin LeAnn saß neben ihr. Die beiden waren diskret genug, nicht in der Kirche Händchen zu halten, aber ihre Beziehung, die kurz nach Rebeccas Rückkehr von einem einjährigen Aufenthalt in Südamerika bei ihrer Mutter begann, hatte für gehöriges Aufsehen in der Gemeinde gesorgt. Rebecca hatte sich nie sonderlich darum gekümmert, was andere über sie dachten, und in diesem speziellen Fall überraschte es Gem umso weniger. Sie wusste von Rebeccas allgemeiner Meinung von Männern, wenngleich Rebecca nicht wusste, dass Gem die Gründe dafür kannte. Und das war gut so.
    Gem lächelte die beiden an, ohne sich von Paul zu lösen, zumal sein Arm das Einzige war, was sie in diesem Moment aufrecht hielt. Als sie ihren Platz erreichten, bemerkte Gem ein vertrautes Gesicht in der letzten Reihe, halb verhüllt von langem, strähnigem Haar. Eine Sekunde lang dachte sie, es wäre Eliot, der eines seiner alten Halloween-Kostüme trug, dann jedoch sah der Mann sie an. Zwischen ungewaschenen, grauen Strähnen, die ihm willkürlich ins Gesicht hingen, begegnete Ray Lindus Blick dem ihren. Dann führte Paul sie nach rechts, weg von dem albtraumhaften Aufblitzen der Erinnerung. Vielleicht war es gar nicht mehr gewesen – nur eine Erinnerung. Ray war seit jenem Tag in der Kirche, bevor die Watts’ eingezogen waren, nie zurückgekehrt; zumindest hatte er sich niemandem zu erkennen gegeben. Gem schaute beiläufig über die Schulter zurück, konnte jedoch über die zahlreichen Köpfe hinweg nichts erkennen.
    Der Rest des Gedenkgottesdienstes verschwamm in Gems Wahrnehmung. Sie verlor sich im Duft von Pauls Moschusdeodorant und im steten Zappeln ihres Vaters, der auf ihrer anderen Seite saß und ihre freie Hand hielt. Ursprünglich wollte auch Eliot kommen, war jedoch in letzter Minute ins Büro gerufen worden. Er arbeitete zu viel. Gem versuchte beharrlich, ihn mit Amy Gaston von der Kirche zu verkuppeln, um einen weiblichen Einfluss in sein Workoholic-Leben zu bringen.
    Sie drückte die Hand ihres Vaters. Kurz, nachdem Gem begonnen hatte, die Gottesdienste in Saint Cecilia zu besuchen, hatte sie versucht, auch ihre Familie dazu einzuladen. Überraschenderweise hatte Eliot eingewilligt. Allerdings war er eher neugierig auf den ›neuen Spleen‹ seiner Schwester gewesen und hatte ihn mit zurückhaltender Gleichgültigkeit behandelt wie die verschiedenen Anwandlungen, die ihre Mutter regelmäßig heimsuchten. Ihr Vater hatte nur genickt und gemeint, ihm fiele kein Grund ein, weshalb nicht, und damit war die Diskussion erledigt gewesen. Nach seinem ersten geselligen Beisammensein im Anschluss an den Gottesdienst hatte er keinen Kirchgang mehr ausgelassen. Er mischte sich mit solcher Begeisterung unters Volk, dass sich Gem fragte, weshalb sie sich je davor gescheut hatte, das Thema anzuschneiden. Sie brauchte nicht lange, um es zu begreifen. Zwar besaß sie keine tiefreichenden Kenntnisse über die menschliche Psyche, doch ihr Vater war einfacher zu lesen als ein Dr. Seuss-Buch.
    Der Mann war einsam gewesen. Abgesehen von seiner Familie, die ihn ebenso sehr übersah, wie sie sich selbst ignoriert fühlte, hatte seine einzige Gesellschaft aus den körperlosen Stimmen bestanden, die aus seinem Funkgerät knisterten. Gem ertappte sich dabei, das Gerät zunehmend zu hassen, und verspürte bisweilen regelrechtes Grauen, wenn sich ihr Vater hinauf in die Dachkammer begab.
    Vor Jahren hatte sie einige lebhafte Albträume über jenen Raum gehabt. Die Phobie legte sich, als sich ihr Vater kopfüber in sein neues Gesellschaftsleben stürzte und sich in so vielen Ausschüssen und Komitees engagierte, wie der Kirchenrat gestattete, während er mit an Besessenheit grenzendem Interesse jeden Brief und jede gelegentliche E-Mail von Joyce las. Seine Zeit in der Dachkammer wurde zu einer Ausnahme statt zur Regel. Gelegentlich kehrten die Albträume zurück, doch gewöhnliche Träume hatte Gem ohnedies selten.
    Sie beugte sich zu ihrem Vater und flüsterte: »Ich glaube, ich habe hinten Mr. Lindu gesehen.«
    Jim

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