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Plasma

Plasma

Titel: Plasma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Carlson
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Ausbruch der Pest hatte der Ort weniger als viertausend Menschen beherbergt, aber nun waren sämtliche historischen Gebäude und Frühstückscafés in Kommandozentralen für die zivile und militärische Verwaltung umgewandelt worden. Jeder versuchte hier Fuß zu fassen. In Hotels, Büroblöcken und Privathäusern, ja sogar in Tankstellen und Wäschereien drängten sich Überlebende. Entlang der Nebenstraßen, auf Flachdächern und Parkplätzen hatte man Zelte und Wohncontainer errichtet. Die Stadt platzte aus allen Nähten.
    Wenn er die Augen schloss, erinnerte ihn die Menschenmenge fast an Kiew, Moskau und Paris. Stiefel hallten auf dem Pflaster wider, Stoff raschelte, wenn die Leute einander streiften. Und doch waren die Schritte und die Stimmen anders. Niemand hastete zur Arbeit, zum Essen oder in eine Vorstellung. Niemand lachte. Niemand rief Bekannten etwas zu.
    Ulinow kam hinter einem Mann zum Stehen, der dicht vor der Backsteinmauer einer Bank angehalten hatte und völlig in sein Handy vertieft war. Der Mann telefonierte nicht, sondern tippte mit dem Daumen einen Text ein. Ulinow schob sich an ihm vorbei und sah gleich darauf eine Frau, die ebenfalls ein Handy in der hohlen Hand hielt und das Tastenfeld bearbeitete. Ihr Nasenrücken schälte sich wie das Gesicht des jungen Soldaten. In dieser Höhe enthielt das Tageslicht jede Menge UV-Strahlung, und es gab längst keine Sonnenschutzcremes mehr.
    Das wichtigste Utensil in der Stadt war das Handy. Regierungsbeamte, Soldaten, Ärzte, Schlosser, Elektriker und alle sonstigen unabkömmlichen Leute waren durch drahtloses Internet und lokale Sendemasten, die man während des Pestjahrs flächendeckend errichtet hatte, miteinander vernetzt. Dennoch telefonierten die Menschen, wenn überhaupt, dann höchstens im Flüsterton. Sie hatten Angst vor Eindringlingen. Schließlich führten sie Krieg gegen das eigene Volk, und wie konnten sie sicher sein, wer auf ihrer Seite stand, wenn der Feind genauso sprach und aussah wie sie?
    In gewisser Hinsicht war es, als halte der Winter Leadville weiterhin unter einer dicken Schneeschicht und eisigen Temperaturen gefangen. Die Menschen hier warteten auf Tauwetter. Sie wirkten wie erstarrt. Trotz der Kämpfe hatten viele von ihnen nicht genug zu tun. Und da jeder zusätzliche Esser eine Belastung darstellte, sorgten sie sich, dass sie entbehrlich waren.
    In den achtzehn Tagen seit dem Verlassen der ISS hatte Ulinow die meiste Zeit über nur das gesehen, was die Regierung ihm vor Augen führen wollte. Man hatte eine Parade veranstaltet. Er hatte Sonderrationen und eine ausgezeichnete medizinische Betreuung erhalten. Allmählich aber fiel die Maske.
    Leadville war eine Festung, umgeben von Garnisonen, Panzereinheiten, Vorposten und Spähern – und es dehnte und streckte sich wie ein Muskel. Der Himmel hallte seit Tagen vom Lärm der Feindeinsätze wider, dem Dröhnen von Jets und Begleitflugzeugen, die in den Bergen aufstiegen. Ulinow hatte Mühe, die Übersicht zu behalten. Er konnte nicht immer draußen sein oder an ein Fenster laufen. Außerdem schien die amerikanische Luftwaffe ihre Flotte zu verlegen. Sie räumte den überfüllten kleinen Fliegerhorst an der Südseite der Stadt und landete stattdessen viele Maschinen auf den nahen Highways im Norden. Dazwischen kreisten kleine Zivilflugzeuge oder dicke Transporter am Himmel.
    Auch am Boden rüstete Leadville Spezialtruppen neu aus. Auf den Hauptdurchgangsstraßen rissen Raketenträger und Abraham-Panzer den Asphalt durch ihr Gewicht auf. Ulinow hatte in jedem der vier Blocks, durch die er bis jetzt geschlendert war, mindestens sechs motorisierte Einheiten gesehen. Die gleiche Anzahl reihte sich in der Straße vor ihm auf. Auf Lastwagen montierte Kanonen. Bullige Transportpanzer zur Unterstützung der Artillerie. Gestern waren sie am frühen Vormittag und in der Nacht lärmend durch die Straßen gerollt. Heute Morgen hatte sich eine zweite Gruppe auf den Weg gemacht. Eine zweite Welle.
    Wie viele noch?, dachte er und stieß mit einem Soldaten zusammen, der quer über den Fußweg auf eine Ladentür zuging. Ein Captain. »Entschuldigung!« Ulinow achtete sehr genau auf seine Aussprache. Zwar besaß er die nötigen Ausweispapiere, aber er wollte nicht wegen einer Lappalie wie seinem Akzent aufgehalten werden. Er war ohnehin schon zu spät dran.
    Der Captain verschwand im Innern des Ladens, ohne ihn richtig zur Kenntnis zu nehmen. Eine schwarze Schrift war über den einstigen Namen

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