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Plasma

Plasma

Titel: Plasma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Carlson
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übertrug sich auf die nächste Generation. Sie umkreisten einander jahrelang. Mal suchte Ruth seine Nähe, dann wieder wies sie ihn mit Spott ab. Sie quälte sich und ihn mit Fragen nach seinen Freundinnen, schlenderte im Schlafanzug durchs Haus, setzte sich dicht neben ihn, wenn er Mathe-Hausaufgaben machte – und baute so allmählich eine schwache erotische Spannung auf, ein Knistern und Funken wie knapp zwei Jahrzehnte später zwischen ihr und Ulinow. Wenn sie allein im Haus waren, kämpften sie um die Fernbedienung, und vor den Augen aller anderen führten sie Scheinkriege im Gemeinschafts-Pool, glatte, nasse Haut gegen glatte, nasse Haut gepresst.
    Ari war ein athletischer Typ, der überall gut ankam. Ruth stand eher am Rand, ein kluges Mädchen, das viele für eine Streberin hielten. Sie hatte tolles Haar und eine ansehnliche Figur, aber ihr Gesicht erweckte den Eindruck, als habe sie sich die Nase und die Ohren einer Erwachsenen ausgeborgt.
    Sie küssten sich zum ersten Mal, als sie siebzehn und noch Jungfrau war, nach einem Schulfest, das sie enttäuscht verlassen hatte, weil der Junge, den sie anschwärmte, nichts von ihr wissen wollte. Vielleicht hatte Ari das ausgenutzt. Vielleicht hatte sie es auch so gewollt. Er betastete sie durch den Stoff ihres Kleides, und auch sie fasste ihn flüchtig an. Am Tag darauf war ihnen die Geschichte peinlich. Verlegenes Schweigen dämpfte ihre Freundschaft. Zum Glück begann Ari bald darauf sein Studium. Sie sahen sich kurz in den Semesterferien, und im darauf folgenden Sommer verließ Ruth ebenfalls das Haus und schrieb sich an der Universität von Cincinnati ein. Dann hatte er eine Freundin, mit der es ihm ernst zu sein schien. Und dann trat sie ihr erstes Praktikum an.
    Ruth hatte mehr Erfahrung, als sie sich wieder einmal beim Chanukka-Fest zu Hause trafen. Sie war einundzwanzig, machte ihm beim Abendessen schöne Augen und setzte den Flirt im Wohnzimmer fort, während die Familie den Fernseher umringte. Nachdem die anderen schlafen gegangen waren, ließ sie ihr Licht an und tat so, als lese sie noch ein Buch. Er klopfte leise an ihrer Tür, und es war herrlich aufregend und verdammt romantisch.
    Von da an verbrachten sie des Öfteren heimlich einen Nachmittag oder ein paar Nächte zusammen. So ging das über Jahre. Mit etwas mehr gutem Willen hätten sie eine Beziehung daraus machen können, aber Ruth war zu beschäftigt, und Ari hatte nie Probleme, sich andere Frauen ins Bett zu holen, eine Tatsache, die Ruth ziemlich zu schaffen machte.
    Doch gerade weil zwischen ihnen alles so in der Schwebe blieb, behielt sie ihn im Herzen.
    Das meiste von dem, was Ruth über Religion wusste oder glaubte, hatte sie von ihrem Stiefvater gelernt. Sie war als Kind alles andere als orthodox aufgewachsen, hatte bei Freunden köstliche Pizza mit tierischen Nebenprodukten genossen und miterlebt, wie ihr Vater am Sabbat auf dem Computer herumhackte. Aber dieser Teil ihres Lebens veränderte sich gründlich, als ihre Mutter zum zweiten Mal heiratete. Zwar hatte Ari seine Spiele häufig samstags, und ihr Stiefvater fuhr gern mit der ganzen Familie zum Sportplatz, um ihn anzufeuern, aber die Cohens verzichteten auf das verbotene Schweinefleisch und bemühten sich, am Sabbat die Arbeit ruhen und den Fernseher ausgeschaltet zu lassen. Der Glaube ihres Stiefvaters beruhte weniger auf Frömmigkeit als auf einem tiefen Respekt vor allen Kreaturen und Dingen. Auf einen kurzen Nenner gebracht, lautete sein Lebensmotto, auch wenn es für das Judentum nicht unbedingt typisch war: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu. Das ließ sich angesichts der menschlichen Natur weder wissenschaftlich noch logisch begründen, aber es verriet Ausgewogenheit, und das gefiel ihr.
    Ruth hatte sich Ari gegenüber anfangs naiv und später dann egoistisch verhalten. Sie konnte es sich nicht leisten, diesen Fehler noch einmal zu begehen.
    Tatsache war, dass Ruth über ihren Schatten gesprungen war und in einer Walgreens-Filiale eine Schachtel Kondome mitgenommen hatte, während die Männer drei Gänge weiter Konserven einpackten. Und sie hatte sich gefragt, wie zum Henker sie das erklären sollte, wenn die beiden sie ertappten. Weil das wichtig ist. Selbst wenn sie Nein sagte, konnte es sein, dass Cam Ja sagte, und ihre Möglichkeiten waren dann begrenzt. Sie hatte ihn schließlich ermutigt.
    Sie ärgerte sich darüber. Manchmal machte es keinen Spaß, eine Frau zu sein, kleiner zu sein,

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