Plastikfreie Zone
versuche mich an Überzeugungsarbeit: »Es kann eigentlich nicht sein, dass wir alle bei dem Wahnsinn weiterhin mitmachen. Bis vor hundert Jahren hat die Menschheit schließlich auch existiert, ohne überall Müll zu hinterlassen, der teilweise Jahrhunderte braucht, um zu verrotten, und dabei zu allem Überfluss Unmengen an Gift freisetzt.«
Zurückschauend glaube ich, dass sich in diesem Augenblick beim Rotwein im Lokal, aufgewühlt von dem Film und deprimiert von der scheinbaren Aussichtslosigkeit, etwas verändern zu können, in meinem Kopf erstmals die Umrisse jenes Experiments herauszukristallisieren begannen, das mein Leben grundlegend verändern sollte. Mit anderen Worten: Ich traf die ersten Vorbereitungen für eine Reise zu einem unbekannten Ziel – ohne zu ahnen, was mich unterwegs so alles erwarten würde.
»Außerdem hab ich keine Lust mehr, mich von dieser ganzen verantwortungslosen Industrie und ihrer Werbung für blöd verkaufen zu lassen. Da bekommt man ständig Bilder von glücklichen Menschen mit strahlend weißer Wäsche und hygienisch verpackten Fertiggerichten vorgesetzt, und schon kauft man schön brav den ganzen Blödsinn. Unentwegt werden irgendwelche neuen Bedürfnisse geweckt, damit die ihren Schrott loswerden. Was in den Produkten drin ist, interessiert dagegen niemanden mehr und die Inhaltsstoffe des Verpackungsmaterials erst recht nicht. Hauptsache billig und viel.«
Ich rede mich so richtig in Rage, werde dabei etwas theatralisch und zynisch und will vor allem Gerhard aus der Reserve locken: »Ist aber eigentlich egal, denn das Problem löst sich ohnehin über kurz oder lang. Geben wir unseren lieben Kleinen zur Beruhigung einfach weiterhin ihre Bisphenol-A-Schnuller, und sie oder die nächsten Generationen werden unfruchtbar. Mit der Konsequenz, dass automatisch die Müllberge schrumpfen. Nun gut, am Ende verschwindet vielleicht die ganze Menschheit, doch dann hat der Planet wenigstens endlich wieder seine Ruhe.«
Statt mir zuzustimmen, sucht Gerhard sein Heil im Gegenangriff, erklärt meine Sichtweise für einseitig und führt seinerseits CO 2 und Klimawandel als weitaus größere Probleme ins Feld. »Du mit deinem bösen Plastik … alles halb so schlimm«, grummelt er. »Aber bitte, wenn das für dich ein Ansatz ist, die Welt von einem bisher unerkannten Übel zu befreien …«
Langsam werde ich wirklich ungeduldig. Ich habe das Gefühl, meine Einwände, dass schließlich alles zusammenhänge, weil die Plastikherstellung ebenfalls CO 2 -Emissionen verursache und Erdöl verbrauche, damit also unmittelbar zum Klimawandel beitrage, könnte ich mir eigentlich sparen. Ich probiere es trotzdem, rede mir meine Empörung von der Seele. Was immerhin dazu führt, dass Nicole vermittelnd eingreift und dem Gespräch wieder eine etwas konstruktivere Wendung zu geben versucht.
»Und wenn man damit beginnt, einfach ein wenig zu reduzieren? Bei manchen Dingen hat man schließlich die Wahl«, meint sie vorsichtig.
Gerhard ist nicht überzeugt: »Was bringt das schon? Okay, Mehl, Zucker und solche Dinge, die sowieso meist in Papier verpackt sind – darüber hinaus gibt’s im normalen Supermarkt nicht viel. Soll jetzt vielleicht jeder in Bioläden gehen? Abgesehen davon, dass es nicht überall welche gibt, sind die viel zu teuer und damit für Otto Normalverbraucher keine Alternative, würde ich sagen.«
Diese resignativ-pessimistische Reaktion, die jeden Ansatz zu Veränderungen bereits im Vorfeld als nicht machbar abzuwürgen scheint, bringt bei mir das Fass zum Überlaufen. Ohne wirklich ernsthaft über die Konsequenzen nachzudenken, platze ich einfach mit meinem einsamen Entschluss heraus: »Also, wir probieren das mal. Ihr gebt mir sicher recht, dass wir in die Kategorie Otto Normalverbraucher fallen. Schließlich sind wir eine ganz durchschnittliche fünfköpfige Familie, verdienen durchschnittlich und haben durchschnittlich viel Zeit neben unserem Beruf. Und wir werden jetzt einfach mal einen Monat lang plastikfrei einkaufen. Einfach so, als Experiment sozusagen. Und dann sehen wir ja, ob uns das in den finanziellen Ruin treibt. Und vor allem, ob es nicht doch möglich ist, obwohl es nach allen bisherigen Prognosen schier unmöglich scheint.«
So, nun ist es raus! Ich fühle mich irgendwie erleichtert und gleichzeitig fest entschlossen, das durchzuziehen.
Beim Wein geht es noch eine Weile weiter. Während Gerhard nur leicht spöttisch meint: »Na, dann viel Spaß. Jetzt musst du nur
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