Platon in Bagdad
einer von Thabits Enkeln, der in der Mitte des 10. Jahrhunderts in Bagdadwirkte, seine Studenten die Methoden der talismanischen Magie lehrte, die er vermutlich von Thabit gelernt hatte. Zwei Schüler Thabits waren Enkel des berühmten andalusischen Arztes al-Harrani, der am Hof des Emirs Abd ar-Rahman II. (reg. 822 – 852) in Córdoba praktizierte; durch sie gelangte Thabits Werk über die okkulten Wissenschaften nach Spanien und anschließend in das christliche Abendland.
Meine Studenten sind immer überrascht, dass Thabit ein Buch zur talismanischen Magie geschrieben haben soll; eine Studentin bezeichnete dies als »Voodoo«. Man hat vergessen, dass sich die Wissenschaft seit den alten Ägyptern, Babyloniern und Griechen immer auch mit Astrologie, Alchemie, Weissagungen und Magie befasste. Thabit arbeitete in Bagdad zu der Zeit, als
Tausendundeine Nacht
geschrieben wurde, als die glorreiche Herrschaft Harun ar-Raschids noch frisch im Gedächtnis war. Er war der bedeutendste Wissenschaftler seiner Zeit, berühmt für sein Wissen über Magie wie auch für seine mathematischen Kenntnisse. Der böse Mohr – ein Schüler der »Hexerei und der Zaubersprüche, der Geomantie und Alchemie, Astrologie, der Räucherungen und der Verzauberei« –, der Aladin zu seiner Wunderlampe führte, hätte ihm nachempfunden sein können.
Thabit steht in einer langen Tradition von Zauberern der Wissenschaft, die von Pythagoras bis Newton reicht, denn nach dem Volksglauben erlangen Menschen, die die Natur verstehen, auch Macht über sie. Die meisten modernen Historiker konzentrieren sich nur auf den rationalen Aspekt der Entwicklungen, die in die wissenschaftliche Revolution mündeten, und berücksichtigen nicht »die Spindel der Notwendigkeit … vermittelst deren alle Umläufe gedreht werden«, wie Platon über die Himmelssphären schrieb, die einst die Himmelskörper in gottgewollter Harmonie trugen.
Der Glaube der alten Sabier überdauert bis heute jenseits der Grenze von Harran in Syrien sowie im Irak, wie ich erst vor einpaar Jahren erfuhr. Harran und andere Bienenkorbdörfer südlich davon in Syrien werden von halbnomadischen Arabern bewohnt, die ihre Herden in der Ebene von Jullab, dem nördlichsten Zipfel der großen mesopotamischen Wüste, zusammentreiben. Bis vor 20 Jahren, als ich Harran das erste Mal besuchte, war das Leben der Dorfbewohner dort seit biblischen Zeiten unverändert, wenn auch die Wüstennomaden allmählich ihre nomadische Lebensweise aufgaben und sich für eine gewisse Zeit hier am Nordrand der mesopotamischen Ebene niederließen, bevor sie weiterzogen, genau wie Abrahams Familie, als sie vor 3000 Jahren hier vorbeizog. Im 1. Buch Mose 12,1 – 5 wird davon erzählt, wie Abraham Harran dem Rufen Jehovas gehorchend verlässt:
Und der Herr sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen werde. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. … Da zog Abram aus, wie der Herr zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm. Abram aber war fünfundsiebzig Jahre alt, als er aus Haran zog. So nahm Abram Sarai, seine Frau, und Lot, seines Bruders Sohn, mit aller ihrer Habe, die sie gewonnen hatten, und die Leute, die sie erworben hatten in Haran, und zogen aus, um ins Land Kanaan zu reisen. Und sie kamen in das Land.
Über 30 Kilometer südlich von Harran führt die Hauptstraße über die Grenze nach Syrien hinein, wo es ungefähr ein Dutzend Dörfer gibt, die von Arabern bewohnt werden, die an dem uralten Glauben der Sabier festhalten. Die Straße führt dann weitere 80 Kilometer südlich nach Al-Raqqa, einem alten Handelskreuz auf dem linken Ufer des Euphrat.
Al-Raqqa wurde im Jahr 771 von dem Kalifen al-Mansur neugegründet. Harun ar-Raschid baute im ausgehenden 8. Jahrhundert einen Palast nördlich von Al-Raqqa, den er Kasr as-Salam, den Palast des Friedens, nannte. Seitdem wurde dies sein Lieblingswohnsitzund Al-Raqqa nach Bagdad die zweite Hauptstadt des abbasidischen Kalifats.
Der Astronom al-Battani, ein jüngerer Zeitgenosse von Thabit ibn Qurra aus Harran, baute in Al-Raqqa im letzten Viertel des 9. Jahrhunderts ein Observatorium. Die astronomischen Tafeln, die er erstellte, wurden ins Lateinische übersetzt, Kopernikus und Tycho Brahe haben sie angewendet. Al-Battani war auch Sabier, doch anders als Thabit ibn Qurra trat er zum Islam
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