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Platon in Bagdad

Platon in Bagdad

Titel: Platon in Bagdad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Freely
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hier eine renommierte islamische Hochschule, und diese Einrichtung gab der modernen Universität Harran ihren Namen.
    Urfa befindet sich am Nordrand der mesopotamischen Ebene, man spricht dort Arabisch, Türkisch, Kurdisch und hört sogar ein paar Worte Syrisch, die Sprache der winzigen christlichen Gemeinde. Für die Dorfbewohner in Harran ist das Arabische ihre Sprache, obwohl sie heutzutage auch Türkisch sprechen. Die wichtigste Straße von Urfa nach Süden führt an Harran vorbei und durch Syrien und den Irak nach Bagdad; sie folgt dem Verlauf der alten Karawanenroute von Zentralanatolien bis zum Zusammenfluss von Euphrat und Tigris.
    Urfa hat man als das biblische »Ur in Chaldäa« identifiziert, das Alexander der Große als Edessa neubegründete, benannt nach der Stadt in der Nähe seiner makedonischen Hauptstadt. In den ersten Jahrhunderten der byzantinischen Ära wurde Edessa eine berühmte Stadt der Religion und der Gelehrsamkeit, es spielte einewichtige Rolle bei der Verbreitung des Christentums wie auch bei der Überlieferung und Vermittlung antiken griechischen Wissens.
    Im Mittelalter war Edessa abwechselnd unter der Herrschaft der Byzantiner, der sassanidischen Perser, der marwanidischen und ayyubidischen Kurden, der Armenier, Kreuzfahrer und seldschukischen Türken. Ein Heer des ersten Kreuzzugs unter Balduin von Boulogne eroberte Edessa 1098 von den Armeniern. Es wurde dann die Hauptstadt der Grafschaft Edessa, des ersten von mehreren Kreuzfahrerstaaten, die im Vorderen Orient begründet wurden. Dieser Staat existierte kaum 50 Jahre lang, denn am Heiligen Abend 1144 fiel Edessa an die seldschukischen Türken, die alle christlichen Männer erschlugen und die Frauen und Kinder in die Sklaverei verkauften. Die Eroberung von Edessa löste im Abendland große Unruhe aus und bewog Papst Eugen III., den Zweiten Kreuzzug auszurufen. In einem Brief, den er am 1. Dezember 1145 an König Ludwig VII. von Frankreich richtete, bezeichnet der Papst Edessa als »eine Stadt, die von Christen beherrscht wurde und nur dem Herrn diente, als vor langer Zeit die ganze Welt im Orient unter den Einfluss der Heiden kam«.
    Mit den Heiden meinte der Papst hier die Sabier, Anhänger einer Astralreligion, die im antiken Mesopotamien entstanden war. Die Sabier beteten spirituelle Wesen an, die sie für die Vermittler zwischen dem Menschen und einem höheren Wesen und die Lenker der Bewegung der Sterne hielten. So erbauten die Sabier Tempel für die Sonne, den Mond und die fünf Planeten. Einen dieser Tempel hat man in Sumatar Harabesi ausgegraben, knapp 60 Kilometer ost-südöstlich von Urfa.
    Es gelang dem Heer des Zweiten Kreuzzugs nicht, Edessa zurückzuerobern, so ging die Stadt an die ayyubidischen Kurden, die seldschukischen Türken, die Mongolen, die Mamelucken und schließlich an die osmanischen Türken, die sie 1637 eroberten. Unter muslimischer Herrschaft wurde die Stadt Urfa genannt, eineAbwandlung des antiken Namens, wobei sie bei den wenigen Christen weiterhin Edessa hieß.
    Die erste Woche der Konferenz fand auf dem Campus der Boğaziçi-Universität in Istanbul statt, die zweite auf dem Campus der Harran-Universität in Urfa. Den letzten Tag verbrachten wir in Harran, das ich 20 Jahre zuvor schon einmal besucht hatte. Auf einem Teil der Ruinen der mittelalterlichen islamischen Stadt befindet sich jetzt ein Dorf aus Lehmziegelhäusern, von denen jedes ein Dach mit mehreren kegelförmigen Kuppeln hat, die wie riesige Bienenkörbe aussehen. Der einzige Hinweis auf die moderne Welt sind die Fernsehantennen und Satellitenschüsseln auf den Dächern der vermutlich ältesten Wohnhäuser der Türkei.
    In Urfa hielt ich einen Vortrag über die Vermittlung der griechischen Kultur in den Islam, in deren erster Phase die christliche Universität Edessa eine entscheidende Rolle gespielt hatte. An dieser Universität waren vor ihrer Schließung im Jahr 489 Werke der griechischen Kultur vom Griechischen ins Aramäische übersetzt worden, danach gingen einige nestorianische Gelehrte an die medizinische Fakultät in Gondischapur. Die Stadt hatte auch eine Gruppe griechischer Gelehrter aufgenommen, nachdem 529 die Platonische Akademie in Athen geschlossen worden war, unter ihnen Isidor von Milet. Mit den nestorianischen und griechischen Gelehrten in Gondischapur gelangte das Wissen um die griechische Kultur an die dortige medizinische Fakultät, deren Gelehrte schließlich in das Haus der Weisheit in Bagdad zogen und diese Werke

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