Platon in Bagdad
dort ins Arabische übersetzten. Es fasziniert mich ganz besonders, dass an dieser Vermittlung der Kultur ein griechischer »Physiker« aus Milet beteiligt war, wo im 6. Jahrhundert v. Chr. die ersten Naturphilosophen ihre Ideen entwickelt hatten und die Wissenschaft auf ihre lange Reise schickten, die sie über den Islam in das Abendland brachte und schließlich in die ganze Welt.
Zu dieser äußerst wichtigen Arbeit im Haus der Weisheit hatte auch Thabit ibn Qurra aus Harran beigetragen, einer der führendenWissenschaftler der islamischen Welt. Wie wir wissen, war Thabit ein syrischsprachiger Sabier, der sich in Harran als Geldwechsler seinen Lebensunterhalt verdiente, bevor ihn dort einer der Brüder Banu Musa entdeckte und er als Übersetzer an das Haus der Weisheit in Bagdad ging. Dort übersetzte er die Werke von Aristoteles, Archimedes, Euklid, Apollonios, Heron, Ptolemaios, Nikomachos, Hippokrates und Galen aus dem Griechischen und Syrischen ins Arabische. Thabits eigenes Werk in der Mathematik, Physik, Astronomie und Medizin, das vom Arabischen ins Lateinische übersetzt wurde, war äußerst einflussreich in der frühen Entwicklung der europäischen Wissenschaft. Roger Bacon bezeichnet ihn als »den überragenden Philosophen unter allen Christen, der in vielerlei Hinsicht, spekulativ wie auch praktisch, zur Arbeit von Ptolemaios beigetragen hat.« Doch Thabit, wie gesagt, war ja nicht Christ, und er wurde auch nie Muslim, sondern blieb bis an das Ende seines Lebens Sabier, womit er in Bacons Augen sicher ein gottloser Mensch, ein Heide gewesen wäre, ein Anbeter der Himmelskörper.
Die Sabier aus Edessa und Harran haben ihr Wissen der Astronomie vermutlich aus dem antiken Mesopotamien geerbt, Teil derselben Tradition wie ihre Astralreligion. Wie auch die Christen in Südostanatolien und Mesopotamien, erwarben sie ihre Kenntnis der griechischen Kultur offenbar an den philosophischen Schulen im spätantiken Alexandria. Im Falle der Sabier waren das nicht nur Naturwissenschaft und Philosophie, sondern auch okkulte Wissenschaften wie Astrologie, Alchemie, Magie und Hermetismus.
Thabit ibn Qurra gehört zu all diesen Traditionen: Er erbte die astronomische Überlieferung aus Mesopotamien sowie die rationale und die okkulte Wissenschaft des hellenistischen Alexandria und vermachte sie in seinen Übersetzungen wie auch in seinen eigenen Schriften an die islamische Welt in Bagdad. Das
MASI
führt 80 seiner erhaltenen Handschriften auf, davon 30 zur Astronomie,29 zur Mathematik, vier zur Geschichte, drei zur Mechanik, drei zur beschreibenden Geographie, zwei zur Philosophie, zwei zur Medizin, zwei zur Mineralogie, zwei zur Musik, eine zur Physik, eine zur Zoologie und eine zur Mystik. Thabits astronomische und mathematische Abhandlungen waren sowohl in der arabischen als auch in der mittelalterlichen europäischen Wissenschaft sehr einflussreich, auch wenn sich seine berühmte Trepidationstheorie als irrig herausstellte.
Seine vier erhaltenen historischen Werke befassen sich mit Geschichte, Chronologie, Religion und Brauchtum der Sabier. In einem davon, einer syrischen Handschrift mit dem Titel
Buch der Bestätigung des Glaubens der Heiden
, stellt Thabit stolz die Behauptung auf, die Sabier seien die Erben der alten heidnischen Kultur, die der Welt die Zivilisation brachte.
Wir sind die Erben und Nachkömmlinge des Heidentums, das sich ruhmreich über die Welt verbreitet hat. Derjenige ist glücklich, der um des Heidentums willen die Last trägt, ohne zu ermüden. Wer hat die Welt zivilisiert und ihre Städte aufgebaut, wenn nicht die Häuptlinge und Könige des Heidentums? Die ruhmreichen Heiden begründeten alle diese Dinge. Sie sind es, die die Kunst der Seelenheilung entdeckten und sie machten auch ihre Kunst der Körperheilung bekannt und erfüllten die Welt mit bürgerlichen Institutionen und mit Weisheit, die das größte aller Güter ist. Ohne sie wäre die Welt leer und in Armut getaucht.
Thabits einziges erhaltenes Werk zur Mystik trägt den Titel
Kitab al-Hiyal
(Buch der raffinierten Geräte) und ist nur in lateinischen Übersetzungen aus dem Mittelalter mit den Titeln
De Prestiguo
(Über Magie) oder
De Imaginibus
(Über Bilder) erhalten. Das
MASI
beschreibt es als ein »Handbuch für die Herstellung von metallenen, wächsernen und tönernen Bildern von Menschen, Tieren, Städten oder Ländern für magische Operationen im Zusammenhang mit der Astrologie«. Neuere Forschungen haben ergeben, dass
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