Plattform
und Valérie mit Vornamen hieß. Na gut, ich würde ja noch Gelegenheit haben, auf diese Leute zurückzukommen; ich würde mehr als genug Gelegenheit haben, auf sie zurückzukommen, sagte ich mir finster, während ich zum Bus ging. Ich bemerkte, daß Son immer noch auf ihre Passagierliste starrte. Ihr Gesicht war angespannt, auf ihren Lippen bildeten sich ungewollt Worte; man merkte ihr eine gewisse Furcht, fast Bestürzung an. Die Gruppe bestand, wie sich beim Zählen herausstellte, aus dreizehn Personen; und die Thais sind manchmal sehr abergläubisch, stärker noch als die Chinesen: In den Stockwerken der Hochhäuser und bei den Hausnummern ist es durchaus üblich, daß man von zwölf direkt auf vierzehn springt, nur um zu vermeiden, die Zahl dreizehn zu nennen. Ich setzte mich links in die Mitte des Busses. Die Leute markieren bei solchen Gruppenfahrten sehr schnell ihren persönlichen Bereich: Will man seine Ruhe haben, muß man daher sehr früh seinen Platz besetzen, ihn nicht wechseln und viel leicht ein paar persönliche Gegenstände drauflegen; ihn gewissermaßen aktiv bewohnen.
Zu meiner großen Überraschung setzte sich Valérie neben mich, obwohl der Bus dreiviertelleer war. Zwei Reihen hinter uns machten Babette und Léa ein paar spöttische Bemerkungen. Diese Zicken sollten besser ihre Schnauze halten. Ich richtete meine Aufmerksamkeit unauffällig auf die junge Frau: Sie hatte langes schwarzes Haar, ein Gesicht, wie soll ich sagen, ein Gesicht, das man als bescheiden bezeichnen konnte; genaugenommen weder schön noch häßlich. Nach kurzem, aber scharfem Nachdenken brachte ich mühsam heraus: »Ist Ihnen nicht zu warm?« »Nein, nein, im Bus geht's«, erwiderte sie sehr schnell, ohne zu lächeln, sondern nur erleichtert, daß ich ein Gespräch mit ihr angefangen hatte. Dabei war mein Satz bemerkenswert dumm: In Wirklichkeit war es in diesem Bus saukalt. »Waren Sie schon einmal in Thailand?« knüpfte sie auf treffende Weise an. »Ja, einmal.« Sie verharrte in erwartungsvoller Haltung, bereit, einem interessanten Bericht zu lauschen. Sollte ich ihr von meiner letzten Reise erzählen? Vielleicht nicht sofort. »Das war schön... «, sagte ich schließlich und legte eine gewisse Wärme in die Worte, um ihre Banalität auszugleichen. Sie nickte befriedigt. Da begriff ich, daß diese junge Frau in keiner Weise Josiane unterworfen war: Sie war einfach schlechthin unterwürfig und vielleicht durchaus bereit, sich einen neuen Herrn und Meister zu suchen; sie hatte vielleicht schon genug von Josiane - die zwei Reihen vor uns saß, wütend in ihrem Guide du Routarrd blätterte und uns böse Blicke zuwarf. Romance, romance.
Kurz nach dem Payab Ferry Pier bog das Boot nach rechts in den Klong Samsen ein, und schon waren wir in einer anderen Welt. Das Leben hatte sich hier seit dem letzten Jahrhundert kaum verändert. Pfahlbauten aus Teakholz säumten den Kanal; Wäsche trocknete unter den Vordächern. Frauen kamen ans Fenster, um zuzusehen, wie wir vorbeifuhren; andere hielten mitten beim Wäschewaschen inne. Kinder badeten prustend zwischen den Pfählen, sie winkten uns lebhaft zu. Die Vegetation war allgegenwärtig; unsere Piroge bahnte sich einen Weg durch einen dichten Teppich aus Seerosen und Lotusblumen, überall herrschte intensives, sprühendes Leben. Jeder freie Flekken Erde, Luft oder Wasser schien sogleich von Schmetterlingen, Eidechsen oder Karpfen in Beschlag genommen zu werden. Wir seien jetzt mitten in der Trockenzeit, erklärte Son; dennoch war die Atmosphäre ungemein feucht, unglaublich schwül.
Valérie saß neben mir; sie schien von einer tiefen inneren Ruhe erfüllt zu sein. Sie winkte pfeiferauchenden alten Männern auf Balkonen zu, badenden Kindern, Frauen, die die Wäsche wuschen. Die Ökofreaks aus dem Jura wirkten ebenfalls besänftigt; selbst die Naturheilpraktiker machten einen ziemlich ruhigen Eindruck. Ringsherum hörten wir nur leise Laute, sahen wir nur lächelnde Gesichter. Valérie wandte sich mir zu. Ich hatte beinah Lust, ihre Hand zu ergreifen; ohne bestimmten Grund unterließ ich es. Das Boot bewegte sich nicht mehr: Wir verharrten in der kurzen Ewigkeit eines glücklichen Nachmittags; selbst Babette und Léa schwiegen. Sie hatten abgehoben, um den Ausdruck zu verwenden, den Léa später auf dem Anlegesteg gebrauchte.
Während wir den Tempel der Morgenröte besichtigten, nahm ich mir vor, in einer offenen Apotheke Viagra zu kaufen. Auf dem
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