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Titel: Plattform Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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Bruder<, und für einen niedriger stehenden Menschen empfindet man keinen Haß, höchstens verächtliche Gutmütigkeit. Dieser wohlwollende, fast humanistische Rassismus ist völlig verschwunden. Von dem Augenblick an, da die Weißen begonnen haben, die Schwarzen als ebenbür tige Wesen zu betrachten, war es klar, daß sie diese früher oder später als überlegene Wesen betrachten würden. Dem Begriff der Gleichheit fehlt beim Menschen jede Grundlage«, fuhr er fort und hob erneut den Zeigefinger. Ich glaubte einen Augenblick, er würde seine Quellen zitieren - La Rochefoucauld oder wen auch immer -, aber letztlich tat er es nicht. Lionel runzelte die Stirn. »Die Weißen betrachten sich selbst als minderwertige Rasse«, fuhr Robert in dem Bestreben fort, verstanden zu werden, »alles ist bereit für das Aufkommen eines neuartigen Rassismus, der auf Masochismus beruht: Historisch gesehen sind das die Bedingungen, unter denen Gewalt, Kriege zwischen unterschiedlichen Rassen und Metzeleien entstehen. Alle Antisemiten zum Beispiel sind sich darin einig, den Juden eine Überlegenheit auf gewissen Bereichen zuzuerkennen: Wenn Sie die antisemitischen Schriften aus der damaligen Zeit lesen, werden Sie über die Tatsache erstaunt sein, daß der Jude als intelligenter und gewitzter angesehen wird, man unterstellt ihm besondere Fähigkeiten auf dem Gebiet der Finanz - und im übrigen eine ausgeprägte Solidarität innerhalb der Gemeinschaft. Ergebnis: sechs Millionen Tote. «
        Ich warf wieder einen Blick auf die 47: Das Warten ist immer ein aufreizender Augenblick, den man gern in die Länge ziehen möchte; aber es besteht dabei immer die Gefahr, daß das Mädchen mit einem anderen Kunden abzieht. Ich gab dem Kellner ein kleines Zeichen mit der Hand. »Ich bin kein Jude!« rief Robert, weil er glaubte, ich wolle einen Einwand vorbringen. Ich hätte allerdings Verschiedenes einwenden können: Schließlich waren wir in Thailand, und die Menschen der gelben Rasse sind nie von den Weißen als »niedriger stehende Brüder« angesehen
    worden, sondern als hochentwickelte Wesen, als Mitglieder anderer Kulturen, die komplex und möglicherweise gefährlich waren; ich hätte ebenfalls bemerken können, daß wir hier waren, um zu vögeln, und daß diese Diskussionen reine Zeitverschwendung wäre. Das war im Grunde mein wesentlicher Einwand. Der Kellner kam auf unseren Tisch zu; mit einer schnellen Geste bestellte Robert eine neue Runde Getränke. »I need a girl, sagte ich mit dünner Stimme, »the girl forty seven.« Er beugte sich mit besorgter, fragender Miene zu mir herab; eine Gruppe von Chinesen hatte sich gerade am Nebentisch niedergelassen, sie machten furchtbaren Lärm. »The girl number four seven!» brüllte ich und hob dabei jede einzelne Silbe hervor. Diesmal verstand er mich, lächelte breit und ging auf ein Mikrophon zu, das vor der Scheibe angebracht war, und sagte ein paar Worte. Das Mädchen stand auf, ging die Sitzreihen hinab und steuerte auf einen Seitenausgang zu, wobei sie sich das Haar glattstrich. »Der Rassismus«, fuhr Robert fort und warf mir einen Seitenblick zu, »scheint sich zunächst durch eine gesteigerte Antipathie zu äußern, durch ein stärkeres Gefühl des Wettbewerbs zwischen männlichen Wesen unterschiedlicher Rasse; aber er hat auch ein erhöhtes sexuelles Begehren für die weiblichen Wesen der anderen Rasse zur Folge. Was eigentlich beim Rassenkampf auf dem Spiel steht«, sagte Robert sehr deutlich, »ist weder wirtschaftlicher noch kultureller Art, sondern eine brutale biologische Tatsache: Es ist der Konkurrenzkampf um die Scheide junger Frauen. « Ich spürte, daß er gleich auf den Darwinismus kommen würde; in diesem Augenblick kam der Kellner, begleitet von der Nummer 47, zurück an unseren Tisch. Robert blickte zu ihr auf und betrachtete sie lange. »Sie haben eine gute Wahl getroffen ...«, sagte er schließlich düster, »sie macht den Eindruck, als wäre sie ein geiles Luder.« Das Mädchen lächelte schüchtern. Ich schob meine Hand unter ihren Rock und streichelte ihr den Hintern, wie um sie zu beschützen. Sie schmiegte sich an mich.
        » Es stimmt allerdings, in meinem Viertel haben die Weißen nichts mehr zu sagen...«, griff Lionel ohne ersichtlichen Anlaß ein.
        » Genau ! « stimmte Robert ihm nachdrücklich zu. » Sie haben Angst, und das ist durchaus berechtigt. Ich sehe für die kommenden Jahre eine Zunahme der rassistisch begründeten Gewalttaten in

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