Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)
hier.« Und nieste.
Zu ihrer Linken lag ein kleiner Moorsee, alles sehr idyllisch und doch auch düster in seiner schweren Farbigkeit. Sie kamen aus dem Wald, ein Feld lag vor ihnen und mittendrin das Gut. Rechts thronte das Haupthaus auf einem kleinen Hügel, ein stolzer Bau oder besser ein ehemals stolzer Bau im Stil eines kleinen Jagdschlösschens. Links stand ein Wirtschaftsgebäude mit einem anschließenden Stadl. Vor ihnen schlängelte sich das Sträßchen weiter, vorbei an einem Tipidorf, und danach schon wieder der Wald, der hier alles umschloss. Sogar Irmi empfand das als etwas bedrückend, so als könnte der Wald auf sie zukommen und alles überwuchern wie in einem Dornröschenschloss.
Sie parkten vor dem Wirtschaftsgebäude, und ein bärtiger kräftiger Mann, der sicher schon in den Siebzigern war, kam auf sie zu.
»Veit Bartholomä«, stellte er sich vor. »Meine Frau und ich stehen der Regina ein wenig bei und helfen ihr …« Er schluckte. Es war schon auf den ersten Blick klar, dass er eigentlich ein tatkräftiger Mann war, der momentan jedoch am Limit seiner Beherrschung angelangt war. Ein Dackel saß neben ihm und begutachtete die Neuankömmlinge. Er hatte den Kopf schräg gelegt und blickte Irmi so an, wie das nur Dackel können. Dann begann er zu bellen.
»Lohengrin! Aus! Ruhe jetzt!«, kam es von Herrn Bartholomä, und der Hund war tatsächlich still.
»Mein Beileid«, sagte Irmi – ein Satz, den sie immer schon verabscheut hatte und heute ganz besonders. Beim Verlust eines lieben Menschen verlor so vieles im Leben an Kontur, manchmal heilte die Zeit zwar Wunden, aber der Verlust selbst blieb. Und so fahl, wie der Mann aussah, war ihm Regina wahrscheinlich wie eine Tochter gewesen.
»Mein Name ist Irmgard Mangold, das ist meine Kollegin Katharina Reindl. Wo sind denn die Kinder? Und wo ist die Erzieherin, die Regina von Braun gefunden hat?«, fragte Irmi und wunderte sich über sich selbst, dass sie die vollen Vornamen genannt hatte. Das tat sie sonst nie, zumal sie ihren eigenen vollen Namen furchtbar fand. Aber zu solchen Gutshöfen mit ihrer besonderen Aura von Adel und früherem Glanz schienen die Kurzformen Irmi und Kathi nicht zu passen.
»Die sind alle im Seminarraum«, sagte der Mann. »Darf ich vorgehen?«
Irmi signalisierte Sailer und Sepp, die soeben vorgefahren waren, dass sie draußen Position beziehen sollten. Dann folgten sie dem Mann.
Das von außen eher unscheinbare Wirtschaftsgebäude war im Inneren frisch renoviert. Sie gingen einen Gang entlang, der gesäumt war von Vitrinen – gefüllt mit ausgestopften Tieren.
»Puh«, machte Kathi.
Am Ende des Ganges lag der Seminarraum, wo die Kinder saßen und gar nicht sonderlich verstört wirkten. Eine ältere Frau war aufgestanden und sagte mechanisch: »Helga Bartholomä, kann ich was anbieten?«
»Danke, momentan nicht.« Irmis Blicke durchmaßen den Raum. Die fünfzehn Kinder saßen vor Kakaotassen, Kekstüten lagen auf den Tischen. Essen war immer schon eine gute Sache gewesen, um die Nerven zu beruhigen. Eine auffällig dünne junge Frau mit langen schwarz gefärbten Haaren saß daneben und wirkte weit verstörter als die Kleinen. Eine zweite Frau betrat gerade mit einem kleinen Mädchen an der Hand den Raum, vermutlich kamen sie von der Toilette zurück. Sie flüsterte dem Mädchen etwas in Ohr, woraufhin es sich artig hinsetzte, und kam auf Irmi und Kathi zu.
Irmi lächelte aufmunternd. »Sie haben die Tote gefunden, Frau …?«
»Opitz. Julia Opitz, na ja, also eigentlich hat Benedikt die Frau gefunden. Ich …«
Bevor sie noch weitersprechen konnte, hatte sich ein kleiner Junge mit kecker Stupsnase vor Irmi aufgebaut und meinte: »Bist du die Polizei?«
»Genau – und du?«
»Ich bin der Bene, also Benedikt Haggenmüller.« Es klang durchaus weltmännisch. »Is die da auch von der Polizei?«, fragte er und deutete auf Kathi.
»Ja, is die da.« Kathis Ton war nicht direkt freundlich.
»Bist du nicht zu jung? Außerdem hast du schlechte Schuhe an«, sagte Benedikt ungerührt. »A guats Schuawerk isch alls im Leba.«
Irmi unterdrückte eine Lachsalve, die mehr als unpassend gewesen wäre, aber Kathi war nun mal seit Jahren diejenige, die niemals vernünftige und der Jahreszeit angemessene Schuhe trug.
»Diese Weisheiten hat er vom Opa«, erklärte Julia Opitz.
»Und vom Fernsehen!«, rief Bene. »Drum weiß ich auch, dass man am Tatort nicht rumlaufen darf.« Allein wie er das Wort Tatort betonte, war
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