Ploetzlich blond
Augen.
»Okay«, sagte Whitney. »Das war's von mir. Waren das zwei Minuten?«
Wie aufs Stichwort schrillte in diesem Moment die Eieruhr auf Mr Greers Tisch los. Er strahlte. »Exakt zwei Minuten. Sehr gute Leistung, Whitney.«
Sie schlenderte lächelnd an ihren Platz zurück.
Ich meldete mich. Anscheinend war ich mal wieder die Einzige, die hierzu einen Kommentar abgeben würde. »Mr Greer?«
Er sah mich erschöpft an. »Was gibt's, Em?«
»Ich habe gedacht«, setzte ich an und nahm die Hand herunter, »bei diesem Zwei-Minuten-Vortrag ginge es darum, die Zuhörer von einer Aussage zu überzeugen, und zwar nicht mit irgendwelchen willkürlichen Behauptungen, sondern mit Hilfe von wissenschaftlich belegten Fakten und Statistiken.«
»Dann hab ich ja alles richtig gemacht«, bemerkte Whitney und ließ sich auf ihren Platz fallen.
»Soll ich dir mal sagen, was du gemacht hast?«, fuhr ich sie an. »Du hast allen in der Klasse, die nicht so dünn und perfekt gebaut sind wie Nikki Howard, ein total schlechtes Lebensgefühl gegeben. Wenn du ehrlich wärst, hättest du sagen müssen, dass wir es niemals schaffen können, so auszusehen wie sie, ganz egal wie sehr wir uns anstrengen und wie viel Geld wir ausgeben.«
Ich wurde überraschend vom Gong unterbrochen. So kurz war mir die Stunde noch nie vorgekommen. Anscheinend hatte ich doch länger gedöst, als ich gedacht hatte.
Um uns herum sprangen alle auf und strömten aus dem Zimmer. In dem ganzen Trubel sagte Lindsey zu mir: »Du bist doch bloß neidisch.«
»Ganz genau.« Whitney strich ihren Rock über ihren schma len Oberschenkeln glatt. »Aber in einem Punkt hast du völlig recht, Em. Ganz egal wie sehr du dich anstrengst, so wie Nikki wirst du niemals aussehen.«
Sie kicherte über ihre eigene Schlagfertigkeit und schlenderte dann, die ebenfalls kichernde Lindsey hinter sich herziehend, aus dem Klassenzimmer. Ich blieb allein mit Mr Greer zurück. Und mit Christoper.
»Wenn du willst, kannst du deine Gegenargumente nächste Woche zur Sprache bringen, Em«, bot Mr Greer mir großzügig an. »Dann üben wir die rhetorische Form der Widerrede.«
Ich funkelte ihn bloß genervt an. »Tausend Dank, Mr Greer.«
Er zuckte mit den Schultern und sah ein bisschen beschämt aus.
Ich wandte mich an Christopher. »Und dir danke ich auch sehr. Echt toll, wie du mich moralisch unterstützt hast.«
Christopher blinzelte verschlafen und rieb sich die Augen. »Hm? Was denn? Ich hab jedes Wort mitgekriegt, was du gesagt hast.«
»Ach ja?« Ich zog eine Augenbraue hoch. »Wovon hat mein Vortrag denn gehandelt?«
»Äh … kann ich dir gerade nicht so genau sagen. Aber er hatte irgendwas mit Hot Pants und Dinosaurierstickern zu tun, die im Dunkeln leuchten.«
Ich schüttelte traurig den Kopf.
Manchmal frage ich mich, ob die Highschool nicht vielleicht in Wirklichkeit eine Art experimentelles Labor ist, in das die Jugendlichen von der Gesellschaft gesteckt werden, damit getestet wird, wie viel Durchhaltevermögen sie haben, um in der wahren Welt da draußen zu überleben.
Wenn ja, bin ich mir ziemlich sicher, dass ich diesen Test nicht bestehe.
Man sollte meinen, mir wäre wenigstens am Wochenende eine kleine Ruhepause von den Whitneys dieser Welt vergönnt, doch weit gefehlt.
Das Problem ist, dass meine jüngere Schwester auf dem besten Weg ist, sich in eine zu verwandeln. In eine Whitney, meine ich.
Okay, sie ist noch nicht ganz so schlimm wie die Oberchefzicke. Noch nicht. Aber sie macht rasante Fortschritte. Das wurde mir am Samstag deutlich vor Augen geführt, als Mom mir beim Frühstück mitteilte, ich müsse Frida als Aufpasserin zur Eröffnung des Stark Megastores begleiten, weil sie mit ihren vierzehn Jahren noch zu »jung« sei, um alleine auf solche Veranstaltungen zu gehen.
Ersetzt man das Wort »jung« in oben stehendem Satz mit »dumm und unreif«, weiß man, was meine Mutter gemeint hat.
Damit will ich nicht andeuten, Frida wäre in irgendeiner Weise geistig minderbemittelt. Sie hat genau wie ich ein Begabtenstipendium für die Tribeca Highschool bekommen.
Aber leider hat sie sich dort schnurstracks in eine Möchtegern-Whitney-Robertson verwandelt und sich dem Clan der »Lebenden Toten« angeschlossen, wie Christopher und ich die Leute an unserer Schule nennen, die zwar theoretisch leben, aber praktisch tot sind, weil sie keine Seele haben.
Dass sie Zombies sind, merkt man zum Beispiel daran, dass sie überhaupt keine persönlichen Interessen
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