Ploetzlich blond
er es gut fände, wenn wir die platonische Ebene verlassen und uns auch körperlich näherkommen würden, meine ich. Ehrlich gesagt bin ich mir nicht mal sicher, ob Christopher überhaupt weiß, dass ich kein Junge bin. Ich bin nun mal nicht sonderlich feminin. Nicht dass mich jetzt jemand falsch versteht, ich hätte überhaupt nichts dagegen, ein bisschen femininer auszusehen, aber jedes Mal, wenn ich ein bisschen mit Eyeliner experimentiert habe, hat Frida bloß einen hysterischen Lachkrampf bekommen und gesagt: »Vergiss es, okay? Du kannst es einfach nicht«, bevor ich auch nur zur Tür rausgekommen bin.
Deshalb hab ich mir das mit dem Schminken irgendwann abgeschminkt.
Wahrscheinlich finden viele es eher ungewöhnlich, dass ich statt einer besten Freundin einen besten Freund habe. Aber ehrlich gesagt hatte ich schon seit der fünften Klasse keine richtigen Freundinnen mehr. Ein paar Mädchen aus meiner Klasse haben mich mal zu sich nach Hause eingeladen, aber das war total … verkrampft, weil wir einfach keine gemeinsamen Interessen hatten. Ich wollte PC-Spiele spielen und sie »Wahrheit oder Pflicht«. (Mit dem Schwerpunkt auf Wahrheit, wie z. B. bei der Frage: »Sag mal, stimmt es, dass du in Christopher verknallt bist und dich bloß nicht traust, es ihm zu sagen? Willst du, dass wir es ihm sagen?« Ja, klar. Dringend.)
Damals wurde mir klar, dass ich mit Mädchen einfach nicht auf einer Wellenlänge bin. Ich habe meiner Mutter gesagt, dass ich lieber zu Hause bleibe und lese, als mich noch mal mit ihnen zu treffen.
Wenn man so ist wie ich, ist es übrigens von Vorteil, Akademiker als Eltern zu haben. Die verstehen einen, weil sie selbst auch lieber zu Hause bleiben und lesen.
Mit Christopher lief es von Anfang an ganz anders. Als ich ihn vor acht Jahren vor unserem Haus bei einem Umzugswagen rumstehen sah, wusste ich sofort, dass wir beide auf einer Wellenlänge sind.
Okay, vielleicht lag das auch daran, dass ich einen kurzen Blick in einen Umzugskarton mit der Aufschrift »PC-Spiele von Chris« geworfen hatte, der neben dem Lastenaufzug stand, und merkte, dass er dieselben Computer-Rollenspiele mochte wie ich.
Dadurch, dass wir ständig zusammenkleben, halten uns viele für ein Paar, obwohl das (leider) ganz und gar nicht der Fall ist.
Aber auch wenn er nicht mein Freund ist (wie gesagt: leider), fand ich es total unverschämt von Frida, zu behaupten, er wäre nicht süß. Immerhin ist er über 1,80 m groß und hat sogar die erforderlichen blonden Haare und blauen Augen, die ein Junge braucht, um von den Zombies in die Kategorie »süßer Typ« eingeordnet zu werden. Allerdings entspricht er nicht dem Standard-Beuteschema der »Lebenden Toten«, weil er schon seit einiger Zeit ausprobiert, wie lang er seine Haare noch wachsen lassen kann, bis der »Commander« (so nennen wir seinen Vater, der Politikwissenschaftler ist und auch an der Uni unterrichtet) endgültig die Geduld verliert und ihn zwingt, sie abzuschneiden. Im Moment reichen sie ihm knapp über die Schultern. Und da er nicht fünf Stunden täglich Hanteln stemmt, ist er auch kein wandelndes Muskelpaket wie Whitneys Freund Jason Klein.
Trotzdem ist das alles noch lange kein Grund, zu behaupten, er wäre nicht süß.
»Sehr interessant«, sagte ich. »Mal schauen, ob Christopher jemals wieder bereit ist, deine Festplatte zu defragmentieren.«
» Christophers Haare sind länger als meine! «, zischte Frida. »Und was war bitte gestern in der Cafeteria, als du zu Jason Klein gesagt hast, er soll endlich sein Maul halten, als ihr beide mit euren Burgern in der Schlange vor dem Ketchupspender standet? War das etwa kein fieser Kommentar?«
»Ja, okay.« Ich zuckte mit den Achseln. »Gestern hatte ich einen schlechten Tag. Außerdem hat er total dummes Gewäsch von sich gegeben.«
»Er hat bloß gesagt, dass er die rückenfreien Haltertops, die die Cheerleader im Sommer tragen, besser findet als die Sweatshirts, die sie im Winter anhaben. Was ist daran bitte dumm?«
»Also, ich finde diese Aussage aber auch ziemlich sexistisch, Frida«, schaltete meine Mutter sich ein.
Ich warf Frida über den Frühstückstisch hinweg einen triumphierenden Blick zu. Aber so schnell gab sie sich nicht geschlagen.
»Cheerleader sind Sportlerinnen, Mom!«, sagte sie. »In den Haltertops haben sie viel mehr Bewegungsfreiheit als in den Sweatshirts.«
»Oh Gott, jetzt weiß ich, was los ist.« Ich starrte meine Schwes ter fassungslos an. »Du willst dich
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