Ploetzlich Liebe
ich hab noch jede Menge Bücher zu lesen.« Ich zwinge mich dazu, ihm ein Lächeln zuzublitzen, bevor ich mit meinem Kaffee in meine Ecke zurückhusche. Seit ich hier angekommen bin, versuche ich Amerikanern aus dem Weg zu gehen. Die scheinen zu denken, wir haben automatisch eine Art Beziehung, weil wir auf demselben Kontinent geboren sind. Aber so sehr ich mir Freunde wünsche, ich kann einfach nicht riskieren, dass sie mich wiedererkennen.
»Hartes Lesepensum.« Ich hab erst ein paar Seiten von einem neuen Liebesroman gelesen, als noch ein Sessel neben mir frei wird, auf den sich der Blonde fallen lässt. Er lacht über mein Buch. »Ich muss heute noch acht Kapitel UN-Statuten lesen.«
»Oh.« Ich spüre, wie meine Wut hochkocht. Das ist mein Platz, mein Zufluchtsort.
»Der Professor ist ein Vollidiot.« Er wuchtet die Füße auf den niedrigen Tisch. Der Blonde beginnt das Territorium zu beherrschen, er breitet seine Notizen aus, zieht den Pullover
aus. Er ist in meine Privatsphäre eingedrungen, finde ich. » Letzten Sommer hab ich ein Praktikum bei der UN gemacht und dieser Typ hat null Ahnung von dem Laden, aber was soll man machen? Ich meine …«
Er redet noch eine Weile weiter, während ich meinen Kaffee trinke und mir überlege, wie ich entkommen kann. Es ist der glatte Hohn, ich weiß, die ganze Woche hab ich mich nach Gesellschaft gesehnt und in dem Augenblick, in dem tatsächlich jemand mit mir redet, kann ich ihm nicht schnell genug das Maul stopfen. Aber er ist nicht einfach irgendjemand, nach knapp einer Minute weiß ich schon, dass er genauso ist wie die anderen widerwärtigen Typen, die ich in Kalifornien zurückgelassen habe. Einer plötzlichen Eingebung folgend, sage ich kein Wort. Ich greife nur nach meinen Kopfhörern und steck sie mir wieder rein, dann schau ich in mein Buch, als ob er Luft wäre.
Und ich bin wieder allein.
Emily
Noch nie hab ich meinen Wohnraum mit jemandem teilen müssen. Ich hab eine Schwester, ja, aber wir hatten immer getrennte Zimmer, und bis ich in das Alter kam, in dem unbegrenzte Nutzungszeiten des Badezimmers zur Notwendigkeit wurden, war sie längst ausgezogen und in Oxford. Das rosa geflieste Bad gehörte mir ganz allein. Als ich dann dran war, zur Universität zu gehen, zog ich in meine winzige Schachtel von Zimmer und ließ das Türschloss austauschen. Ich schaffte es sogar, meinen Stundenplan so einzurichten, dass ich die Stoßzeiten in der Dusche umgehen konnte, und hatte so den Gemeinschaftswaschraum für mich allein.
Jetzt gehört Einsamkeit der Vergangenheit an.
»Das blaue oder das grüne?« Morgan angelt ein paar knappe Hemdchen aus einer Einkaufstüte und lässt sie über den Mädchen baumeln, die sich auf mein Bett gefläzt haben und lustlos Modezeitschriften durchblättern. Offenbar pflegte Natasha eine Politik der offenen Tür, deshalb dröhnt jetzt auch ein Rocksong aus ihrer Stereoanlage, der Fußboden ist mit Mappen, Schuhen und Accessoires übersät, und ich kann nichts gegen dieses Chaos tun. Trotz all meiner Bemühungen will Morgan nicht weichen, das einzige Zugeständnis, das ich ihr abringen konnte, war, dass sie Ryan von hier fernhält, solange ich da bin.
»Ich mag das blaue«, sagt Lexi, eine zierliche Blonde, deren Arme nicht dicker sind als meine Handgelenke.
Das andere Mädchen, sie ist genauso mager und hat große dunkle Augen, schaut auf. »Ja, passt zu diesen Armreifen, die du dir letzte Woche geholt hast.«
Morgan strahlt. »Daran hatte ich gar nicht gedacht. Brooke, du bist spitze.«
Ich schlage eine neue Seite in meinem Lehrbuch auf. Mit dem Studieren bin ich längst fertig, der Aufwand für die Bestnote in sämtlichen Kursen, die Natasha belegt hatte, ist geringer als der, den ich in Oxford im Fitnessraum treibe, aber ich geh meine Notizen immer noch mal durch, man weiß ja nie.
»Ich liebe diesen Song«, verkündet Lexi, wälzt sich auf den Rücken und kickt ihre gebräunten Beine zum Takt des schweren Raps in die Luft, der jetzt läuft. »Zu dem haben Justin und ich zum ersten Mal rumgemacht.«
»Hast du ihn inzwischen erzogen?«, erkundigt sich Morgan.
Sie zieht ihr T-Shirt aus und schlendert in ihr Zimmer, um sich einen anderen BH zu holen. Das ist noch was, das mir am Alleinleben abgeht: die Abwesenheit von nackten Brüsten, wo man auch hinguckt.
»Das Programm läuft noch«, antwortet Lexi verschmitzt. »Er sabbert jetzt aber schon weniger, Gott sei Dank.«
»Ihhh!«, kreischt Brooke. »Warum machst du dir
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