P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben
geschlossen. Wir sind auf lange Zeit hinaus taktisch autark. Irgendwann brechen dann unsere Computersysteme zusammen, fehlen gewisse Ersatzteile oder Medikamente. Aber auch dafür haben wir Reserven und Fall-Back-Optionen. Ein Aspekt der Nachhaltigkeit ist ja eingebaute Resilienz. Das heißt, dass man nicht nur auf
ein
System angewiesen ist, sondern eine Vielfalt von subsidiären und sich ergänzenden Systemen zur Verfügung hat. Sowieso haben wir hier drei Währungen: eine interne Verrechnungseinheit, die Reais und die Ecos. Mit den Ecos verrechnen wir die Ökopunkte, die jeder verbraucht, es ist eine Art ökologische Rationierungseinheit. Immer wenn du etwas kaufst oder verbrauchst, steckst du die Alivi-Card in den Computer, und dein Öko-Account wird belastet. Weiter hat das keine Folgen, es gibt nur periodische Feed-Backs. Allerdings gibt es ein Anreizsystem: Wer weniger Ecos verbraucht als der Durchschnitt, bekommt interne Verrechnungseinheiten gutgeschrieben. Manchmal gibt’s auch Prämien dafür, oder kleine Geschenke.«
»Rationierung? Das klingt nach Kriegswirtschaft.«
»Man könnte sagen, dass wir heute eine Art Krieg führen: gegen den Klimawandel. Aber eigentlich ist es ziemlich einfach. Du kennst ja das Prinzip des
cap and trade
.«
»Emissionen begrenzen und dann damit handeln.«
»Richtig. Das war schon einmal ein Fortschritt, denn immerhin hat man damit zugegeben, dass der CO 2 -Ausstoß nicht einfach als Kostenfaktor externalisiert werden kann.Was wir aber brauchen, ist: begrenzen und dann fair zuteilen.«
»Wobei ›fair‹ ein Gummibegriff ist.«
»Ein wesentlicher Gummibegriff. Denn das ›trading‹ beginnt ja erst jetzt, die Industrienationen haben jedoch 200 Jahre lang Emissionen ausgestoßen, ohne dafür zu bezahlen. Es kommt also ein historischer Faktor dazu. Die ärmeren Länder haben theoretisch noch Gratis-Emissionen zugute. Allerdings würde deren plötzlicher Bezug das Klima ruinieren. Zudem ist das Handeln nicht fair, weil das ganze Finanzsystem ein Chaos ist. Womit soll man bezahlen? Und was geschieht mit dem Geld? Also braucht es eine Zuteilung, die gerechter ist und technisch definiert wird. Es muss in effektive Lösungen investiert werden. Die Industrienationen müssen sofort radikal sparen, und das geht nur, indem man physische Rationen zuteilt. Rationierung trifft Arme wie Reiche gleich. Nationen und Menschen.«
»Und wer berechnet eigentlich die Ecos?«
»Eine unserer Firmen macht nur Ökobilanzierungen.«
»Hier seid ihr praktisch auf einer Insel. Aber alle andern haben Schulden. Die Griechen, die Portugiesen, die Amerikaner selbst.«
»Wir auch – bei mir! Etwa eine Milliarde Dollar.«
»Nicht alle auf der Welt haben das Glück, einen so netten Gläubiger zu haben.«
»Nein, nicht alle, das ist mir klar. Aber warum soll es nicht irgendwo eine kleine lokale Fälschung des
business as usual
geben?«
»Nicht alle haben ihren Manetti. Was sollen sie tun?«
»Am Ende läuft es darauf hinaus, dass sie die Schulden nicht bezahlen und dann seriös neu beginnen, so wie hier.«
»Ich befürchte, das wird nicht allen gefallen. Das wäre dann die Variante weltweiter Aufstand.«
Roberto seufzte. »Das befürchte ich auch. Ich schlage vor, wir lassen jetzt dieses Thema und rauchen noch eine Zigarre. Wir haben hier sehr gute brasilianische Zigarren von einer befreundeten Kooperative.«
»Habt ihr davon auch taktische Reserven?«
»Ja, da gibt’s keine Fall-Back-Option. Zigarren sind Zigarren.« Er bot mir eine Lancero an, bestellte noch einen Cognac, und wir schauten dem Treiben auf dem Hauptplatz zu.
Weit hinten, in einer Seitenstraße, entdeckte ich das goldene M eines McDonald’s.
»Eigentlich gehört Alívio nicht ins Gebiet der Ökonomie«, sagte ich nach einigen Zügen, »es ist mehr eine kleine lokale Anomalie, ein Geschenk. Es lässt sich nicht verallgemeinern.«
»Das stimmt. Aber genießen wir doch diese kleine Anomalie, solange es sie noch gibt.«
»Gibt es denn eine konkrete Bedrohung?«, fragte ich, doch irgendwie bekümmert.
»Keine konkrete, aber eine systemische. Wenn die Welt das schmale Nachhaltigkeitsfenster, so wie es d’Alessandro und seine Kollegen berechnet haben, nicht benützt, dann stürzt alles in die Barbarei ab. Die Umstellung auf eine nachhaltige und sozial erträgliche Lebensweise erfordert Investitionen. Diese können aber nur aufgebracht werden, wenn wir mit einer andern Lebensweise weniger Ressourcen verschwenden, zum Beispiel
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