Poirots erste Fälle
tung heraus. »Ich habe es in der U-Bahn entdeckt und herausgeri s sen.«
Anerkennend stellte Poirot fest, dass die Meldung, o b wohl Miss Lemon »herausgerissen« gesagt hatte, fein sä u berlich mit der Schere ausgeschnitten worden war. Sie stammte aus der Morning Post, Rubrik Geburten, Todesfä l le, Eheschließungen, und lautete: »Völlig unerwartet ve r starb am 26. März in ›Rosebank‹, Charman’s Green, Am e lia Barrowby im dreiundsiebzigsten Leben s jahr. Von Blumenspenden bitten wir abzusehen.«
Poirot las die Anzeige noch einmal. »Völlig unerwa r tet«, sagte er leise vor sich hin. Dann laut: »Bitte, schreiben Sie, Miss Lemon!«
Ihr Bleistift war einsatzbereit. Miss Lemon, in Geda n ken bei den Feinheiten ihres Ablagesystems, nahm schnell und korrekt fo l gendes Stenogramm auf.
»Liebe Miss Barrowby,
zwar habe ich von Ihnen auf mein Schreiben keine Antwort e r halten, doch da ich am Freitag ohnehin in der Nähe von Cha r man’s Green bin, werde ich mir erlauben, Sie an diesem Tag au f zusuchen, um mit Ihnen die Angelegenheit zu besprechen, die Sie in Ihrem Brief e r wähnten. Ihr ergebener und so weiter.«
»Tippen Sie diesen Brief bitte gleich. Wenn er sofort zur Post gebracht wird, müsste er heute Abend in Cha r man’s Green sein.«
Am nächsten Morgen kam mit der zweiten Post ein schwarz umra n deter Brief:
»Sehr geehrter Herr,
in Beantwortung Ihres Schreibens an meine Tante, Miss Barro w by, muss ich Ihnen leider mitteilen, dass sie am 26. des Monats verstorben ist. Die von Ihnen erwähnte Angelegenheit hat sich d a her erledigt.
Ihre ergebene
Mary Delafontaine.«
Poirot lächelte in sich hinein. »›Hat sich daher erl e digt…‹ Ah, genau das wollen wir sehen. En avant, nach Cha r man’s Green!«
»Rosebank« war ein Haus, das seinem Namen Ehre zu machen schien, was man nicht von allen Häusern dieser Klasse und Art b e haupten kann.
Hercule Poirot blieb auf dem Weg zur Haustür stehen und betrachtete entzückt die ordentlich angelegten Bl u menbeete links und rechts: Rosensträucher, die später im Jahr eine herrliche Bl ü te versprachen, und im Augenblick gelbe Narzissen, frühe Tulpen und blaue Hyazi n then. Das Hyazinthenbeet war zum Teil mit Schalen eingefasst. »Wie lautet er nur, der Vers, den die englischen Kinder manchmal singen?«, mu r melte Poirot. ›»Mrs Mary, wie wächst es denn in Ihrem Garten? Muschelschalen und Schneeglöckchen und hübsche Mädchen in einer Re i he…‹ Nun, vielleicht nicht gerade in einer Reihe«, übe r legte er laut. »Aber ein hübsches Mädchen gibt es hier jedenfalls und dann stimmt der kleine Vers wieder.«
Die Haustür hatte sich geöffnet und ein adrettes Hau s mädchen mit Schürze und Häubchen musterte ein wenig misstrauisch den ausländischen Gentleman mit dem gr o ßen Schnurrbart, der im Garten laute Selbstgespräche führte. Es war, wie Poirot feststellte, ein sehr hü b sches Mädchen mit runden blauen Augen und rosigen Wangen.
Er lüftete höflich den Hut. »Pardon«, sagte er, »wohnt hier eine Miss Amelia Barrowby?«
Das Mädchen seufzte tief, die Augen wurden noch ru n der. »Oh, Sir, wissen Sie es denn nicht? Sie ist tot! Ganz, ganz plötzlich ist sie gestorben. Am Diensta g abend.«
Sie zögerte, zwischen zwei Versuchungen hin und her gerissen: dem Ausländer zu misstrauen oder dem pr i ckelnden Vergnügen nac h zugeben, sich über Krankheit und Tod zu unterhalten, wie es Me n schen ihrer Schicht gern taten.
»Sie setzen mich in Erstaunen«, sagte Hercule Po i rot, nicht ganz der Wahrheit entsprechend. »Ich war für heute mit ihr verabr e det. Aber vielleicht kann ich mit der Dame sprechen, die jetzt hier wohnt?«
Das Mädchen schien ein wenig unsicher. »Vielleicht können Sie mit ihr sprechen, aber ich weiß nicht, ob sie jemanden empfängt oder nicht.«
»Mich empfängt sie bestimmt«, erwiderte Poirot und reichte ihr se i ne Karte.
Sein herrischer Ton blieb nicht ohne Wirkung. Das Mädchen mit den rosigen Wangen trat beiseite und führte ihn in ein Woh n zimmer auf der rechten Seite der Halle. Dann ging sie, die Vis i tenkarte in der Hand, ihre Herrin holen. Hercule Poirot sah sich um. Der Raum war ein ganz gewöhnliches Wohnzimmer – hel l graue Tapete mit einem schmalen Schmuckstreifen als A b schluss, farblich unbestimmbare Sesselbezüge, ros a farbene Kissen und Vorhänge, viel Porzellannippes und Zierstücke. Nichts an diesem Zimmer war ungewöhnlich oder ließ auf eine e
Weitere Kostenlose Bücher