Polarrot
den Dampfzug nach Glovelier, von dort nach Delémont und weiter nach Biel und zahlte beträchtliche Summen auf seine Konten ein – „ja, alles aus dem Kuhhandel, man sollte es nicht für möglich halten, mein Freund“ –, fuhr weiter nach Solothurn, zahlte auch dort ein, aß den obligaten Ambassadorenteller, ging anderntags einkaufen, besorgte auf Anweisung von Mayer ein Schach- und ein Backgammon-Spiel, kehrte wieder zurück, verschenkte Schuhe und Kleider und bereitete ein Festmahl.
Am anderen Morgen eröffnete Breiter den beiden, dass jetzt der Stall ausgebaut werden müsse, da er noch einige Kühe und weiteres Land zukaufen werde.
Yves’ Enthusiasmus für den Stallbau erlahmte rasch. Er saß tagelang am Radio und am Funk. Schließlich gelang es ihm, Kontakt mit Mitgliedern der Résistance aufzunehmen. Und so kam er auf die Idee, Breiters Panzer-Dachstock zu einem veritablen Kommandoraum auszubauen.
Breiter wie Mayer fanden Gefallen am Gedanken, von Les Chenevières aus Sabotageakte gegen die Deutschen zu planen und durchführen zu lassen.
Breiter fuhr nach Biel, kaufte Wanderkarten der Franche-Comté und des östlichen Burgunds, einen Kompass, Maßstäbe, Lineale, Bleistifte, Spitzer, Radiergummis und Stecknadeln.
Die nächsten Tage verbrachten sie damit, den Raum mit den Karten auszukleiden, auf Anweisung Yves’ Stecknadeln an Eisenbahnknotenpunkten, Langsamfahrstellen, Tunnels und Fabriken anzubringen. Danach berechnete Yves die pro Objekt benötigte Sprengkraft, Mayer die jeweils optimale Mannschaftsstärke für die Aktion und Breiter zeichnete An- und Wegfahrwege sowie allfällige Fluchtwege auf. So überzogen sie die Region nördlich des Doubs mit einer Reihe von Sabotageakten, die ihrer Meinung nach zwar nicht kriegsentscheidend sein, aber die Deutschen und deren Nachschublinien empfindlich treffen würden.
Als das Werk nach bestem Gutdünken fertig gestellt war, zog Yves sie ins Vertrauen, dass diese Aktionen am Tag der Invasion, die bald stattfinden werde, ausgeführt werden sollten. Worauf alles nochmals überarbeitet wurde, da für so zahlreiche und zeitgleiche Aktionen viel zu wenig Männer zur Verfügung standen.
Nachdem alle Anschläge geplant waren, Yves im nahen Wald einen Weihnachtsbaum gefällt hatte, Mayer Breiter das Schachspiel beibrachte, ohne je geschlagen zu werden, Breiter sich bei Pierre nach Land und Kühen erkundigte und Charlotte zu Neujahr ein „Charlotte embrasse Jacques“ über den Äther schickte, starteten die Russen den Angriff auf den deutschen Belagerungsring rund um St. Petersburg.
Schnee, Kälte und Eis hielten nach einem relativ milden Januar erneut Einzug in den Freibergen, und die drei Männer waren wiederum auf sich und die fünf Kühe zurückgeworfen. Und das bis Anfang April. Solange dauerte es, bis die Frühlingssonne die Wiesen wieder wachsen ließ.
Yves wurde ungeduldig, launisch, ging die Pläne wieder und wieder durch, horchte andauernd in den Funk hinein und wählte sich durch Kurz-, Mittel- und Langwellen, derweil Breiter und Mayer Kartoffeln und Rüben pflanzten.
Am 20. April 1944 befand Yves, dies sei der richtige Tag, um vergiftete Geschenke zu verteilen, schrieb in unverständlichen Zeichen die ganzen Sabotageakte, die dazugehörigen Koordinaten, Sprengkraft- und Mannschaftsstärken sowie die An- und Abfahrtswege auf essbarem Reispapier auf, packte seine Sachen und machte sich gegen Mitternacht auf den Weg in den Kampf. Breiter führte ihn noch zum Doubs. Es war alles ruhig. Bevor Yves übersetzte, umarmten sie sich nochmals und Breiter gab ihm ein paar Socken mit.
„Salut Monsieur S’Elagier.“
„Salut Monsieur Boucle.“
„Ich habe für ihn ein Schma Jisrael gebetet“, sagte Mayer, als Breiter wieder zur Tür hereinkam.
„Ich auch. Ein Ave Maria.“
„Messieurs faites vos jeux.“ meldete Radio Londres am 5. Juni 1944.
Breiter stürzte die Treppe hinunter, in den Stall, wo Mayer gerade ein Fenster mit Karton abdichtete und rief „es geht los, es geht los“, riss Mayer von der Leiter herunter und tanzte mit ihm im Kreis.
„Heute Nacht wird das Eisenbahnkreuz bei Lure gesprengt, Mayer, wir haben das geplant, heute Nacht greifen wir in den Krieg ein, hauen dem Sauhund den Ranzen voll“, schrie Breiter und führte sich und Mayer zu einer Pirouette.
Dann stürmte er aus dem Stall, duschte, rasierte sich den Bart ab, warf sich in den Anzug, hieß Mayer es ihm gleich zu tun und lud ihn zum Essen in Le Noirmont ein. Es war das
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