Polarrot

kramte einen Zettel hervor: „Als ich das Gold von dir bekam, war der Kurs pro Kilo 3.430.– Franken. Du hast mir 24 Kilobarren gegeben. Einer davon war mein Lohn. Also 23 mal 3.430,– macht 78.890,– Franken. In der Zeit, in der ich für dich, für dich, im KZ war, wurde der Schweizer Franken abgewertet. Als ich rauskam, war das Kilo Gold 4.870,– Franken Wert. Also 23 mal 4.870,– macht 112.010,–.
    Jetzt gebe ich dir fünfzehn Kilobarren – macht 73.050,– Franken – zurück. Ursprünglich hatte ich sechzehn Barren, also 77.920,– Franken, für dich aufbewahrt. Aber wir mussten die Funkgeräte kaufen. Ohne die hättest du schließlich nicht überlebt. Und die übrigen tausend Franken können wir ja für Kleider, Kost und Logis der letzten drei Jahre anrechnen.“
    Mayer war sprachlos. Er wollte antworten, überlegte es sich, drehte auf dem Absatz um, nahm die Goldbarren vom Küchentisch, ging in sein Zimmer, packte die Barren und ein paar Habseligkeiten in sein Köfferchen, den Rest ließ er liegen, ging wieder hinunter zu Breiter, verabschiedete sich von ihm mit einem leisen und steifen „Adieu“, nahm die Straße nach Saignelégier, bestieg dort den Zug, fuhr bis Marseille, schiffte sich nach Palästina ein, unterstützte den jüdischen Unabhängigkeitskrieg und baute nach dessen Ende zügig ein Textilunternehmen auf. Schließlich gab es in Ägypten eine der hochwertigsten Baumwollsorten.
    Nachdem Mayer nicht mehr zu sehen war, stiefelte Breiter über seinen Grund und Boden zu seinen Kühen, tätschelte jede, setzte sich auf den von Wind und Wetter abgewetzten Findling und wartete, bis Leni kam. Leni kam nicht.
    Nach einer Weile schüttelte er den Kopf und sagte zu sich selbst: „Herrgott, wer steht eigentlich bei wem in der Schuld?“
    Ende Februar 1949 kam ein Telegramm aus Tel Aviv:
    Besuch mich ++stopp++ Schiffspassage gebucht ++stopp++ 21. März 1949, 16.00 Uhr nach Tel Aviv ++stopp++ es wartet noch jemand ++stopp++ Jacques a une cigarette pour deux ++stopp++ Isaak Mayer
    ENDE