Polarrot
Breiter Kühe.
Der Trampelpfad zum Doubs war mittlerweile ein statthafter Weg und wurde immer öfter auch von Militärpatrouillen benutzt, so dass es für Breiter mit seinen Flüchtlingen im Schlepptau zweimal brenzlig wurde und sie sich gerade noch verstecken konnten.
Auf der anderen Seite des Doubs wurde die Résistance stärker, Anschläge auf die Eisenbahnlinie Delle-Belfort-Paris häuften sich, und die Deutschen wurden zunehmend misstrauischer. Anfang August erblickte Yves den ersten Peilwagen, der bei Charmauvillers auf und ab fuhr und nach Funksignalen suchte. Zwei Tage später kamen zwei SS-Hauptmänner, die sich von Yves die Forstwege, die zum Doubs führten, zeigen ließen. Eine Woche später wurde die Grenzsicherung verstärkt und weiter gegen den Fluss verlegt.
Jetzt zeigte sich auch, warum: Deutschland besetzte im September ganz Frankreich, also auch die bislang von Italien verwaltete Zone, und die Hetzjagd auf Juden wurde erbarmungslos verstärkt. Und Yves erhielt Anfrage um Anfrage für Grenzübersetzungen. Er musste sich mit Breiter treffen.
„Salut Monsieur S’Elagier.“
„Salut Monsieur Boucle.“
„Es ist enger geworden.“
„Ja, auch auf meiner Seite.“
„Sie setzen Peilwagen ein. Sie suchen nach meinem Funkgerät. Ich muss jetzt still sein.“
„Radio Londres?“
„Ja, Charlotte.“
„Cigarettes als Code für Flüchtlinge?“
„Ja, und dann jeweils am anderen Tag. Gut so?“
„Ja. Kennst du eine bessere Stelle als die hier?“, wollte Breiter wissen.
„Es gibt noch eine, etwa zweihundert Meter weiter flussaufwärts. Auf deiner Seite ist es unterhalb von Felswänden.“
„Und bei dir?“
„Ein Umweg, aber es geht.“
„Keine Gruppen mehr.“
„Ja, hast recht. Auch keine Familien mehr. Zu gefährlich.“
„Die Preise?“
„Wir belassen sie, wie sie sind. Einverstanden?“
„Ja, aber es ist …“, zögerte Breiter.
„Wir belassen sie, wie sie sind.“
„Also gut.“
„Alors, salut Monsieur S’Elagier.“
„Hey, pass auf dich auf, mon Général.“
„Ja, du auch, besonders auf die Kühe.“
„Salut Monsieur Boucle.“
September und Oktober schleppten sie insgesamt sechsundfünfzig Personen, meist Männer, über den Fluss in die sichere Schweiz. Nur zwei Männern gelang die Weiterflucht bis nach Biel nicht, und sie wurden umgehend wieder an die Grenze gestellt und den Deutschen übergeben.
Sie wurden im Gendarmeriekeller verhört. Yves bekam Wind davon, gab einen letzten Funkspruch an seine Mitkämpfer durch, zerstörte die Funkanlage und setzte sich in den Wald ab. Eine halbe Stunde später wurde die Mairie von fünf SS-Männern gestürmt, ergebnislos, worauf sie die Scheune durchsuchten, ebenfalls ergebnislos. Aus Wut ließen sie sie in Flammen aufgehen.
Danach fuhr ein Mannschaftswagen mit Soldaten vor, die den Wald unterhalb von Charmauvillers zu durchsuchen begannen. Auch die Dorfbewohner wurden zur Mithilfe an der Suchaktion gezwungen. Sie suchten alle unterhalb von Charmauvillers, während Yves aus einem sicheren Baumversteck oberhalb des Dorfes alles beobachten konnte.
Mit Einbruch der Dunkelheit wurden Taschenlampen verteilt und Scheinwerfer aufgestellt. Kurz nach Mitternacht wurde die Suche als aussichtslos eingestellt. Die Dorfbevölkerung musste vor der Mairie antreten und wurde nochmals nach Yves befragt. Die Antwort war Schweigen. Irgendwann wusste sich der SS-Kommandant nicht mehr zu helfen, befahl willkürlich zwei Männer aus der Gruppe zu sich und erschoss sie. Die Leichen blieben zur Abschreckung noch eine Woche liegen. Erst dann durften sie beerdigt werden.
Gegen drei Uhr morgens verließ Yves sein Versteck und nahm den Abstieg ans Flussufer, setzte über und versteckte sich in einem Felsloch, das er, so gut es ging, tarnte. Einmal war ein Suchtrupp auf der anderen Seite zu sehen, und Yves überlegte sich, sich ihnen zu zeigen, um damit die Bewohner zu schützen. Er verwarf den Gedanken, da er damit wohl andere in Schwierigkeiten bringen könnte.
Zwei Tage später kam Breiter und begrüßte ihn mit „Salut demi-cigarette.“
Am 5. November zog der Winter mit eisiger Kälte und viel Schnee ein. Für ein paar Tage waren sie sogar von der Hauptstraße abgeschnitten. Die drei Männer verbrachten die Tage mit Karten spielen, Stall ausmisten, Feuer machen, Essen und Trinken. Als die Straße freigeräumt war, die Eisenbahn wieder fuhr, rasierte sich Breiter, notierte die Schuh- und Kleidergrößen von Yves, setzte sich in
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