Polarsturm
dass er bei schönem Wetter zu Fuß zu den Kongresssitzungen auf dem Capitol Hill ging und ein ums andere Mal die Agenten des Secret Service abhängte, die mit ihm mithalten sollten.
Nachdem er einen weiteren Kontrollpunkt am Eingang zum Westflügel passiert hatte, wurde Sandecker von einem Mitarbeiter des Weißen Hauses zum Oval Office geleitet. Nachdem man ihn durch den Nordwesteingang geführt hatte, betrat er allein den mit blauem Teppichboden ausgelegten Raum und nahm gegenüber vom Präsidenten an dessen Schreibtisch Platz. Erst als er saß, schaute er sich den Präsidenten genauer an und wäre beinahe zusammengezuckt.
Präsident Garner Ward sah grauenhaft aus. Der beliebte Unabhängige aus Montana, der sowohl vom Charakter als auch vom Aussehen her eine gewisse Ähnlichkeit mit Teddy Roosevelt hatte, machte den Eindruck, als hätte er seit einer Woche nicht mehr geschlafen. Er hatte dicke Tränensäcke unter den roten Augen, sein Gesicht wirkte grau und missmutig. Er starrte Sandecker mit einer grimmigen Miene an, die für den normalerweise so gut gelaunten Regierungschef ganz untypisch war.
»Garner, du hast wieder bis spät in die Nacht gearbeitet«, sagte Sandecker mit besorgtem Tonfall.
»Lässt sich nicht ändern«, erwiderte der Präsident mit müder Stimme. »Wir sind im Augenblick in einer höllischen Lage.«
»Ich habe in den Nachrichten gesehen, dass der Benzinpreis auf zehn Dollar pro Gallone gestiegen ist. Der letzte Ölschock hat uns ziemlich schwer getroffen.«
Das Land sah sich mit einem weiteren unerwarteten Anstieg der Ölpreise konfrontiert. Der Iran hatte unlängst mit einem völligen Ausfuhrstopp auf die Sanktionen des Westens reagiert. Noch schlimmer aber war für die USA, dass auch der launische Präsident von Venezuela sämtliche Ölausfuhren hatte einstellen lassen. Dadurch waren nicht nur die Preise für Öl und Benzin hochgeschossen, sondern es kam landesweit bereits zu ersten Engpässen.
»Das Schlimmste kommt erst noch«, erwiderte der Präsident. Er schob Sandecker einen Brief zu.
»Der ist vom kanadischen Premierminister«, fuhr Ward fort. »Aufgrund eines vom Parlament verabschiedeten Gesetzes zur Reduzierung der Kohlendioxidemissionen ordnet die kanadische Regierung die Schließung eines Großteils der Betriebe an, die die Athabasca-Ölsande verarbeiten. Der Premierminister bedauert, uns mitteilen zu müssen, dass sämtliche Ölexporte in die USA gestoppt werden, bis man das Problem mit dem Ausstoß des Treibhausgases gelöst hat.«
Sandecker las den Brief und schüttelte dann bedächtig den Kopf. »Aus diesem Sand werden fast fünfzehn Prozent unserer Ölimporte gewonnen. Für die Wirtschaft wird das ein verheerender Schlag sein.«
Den jüngsten Preisanstieg hatte das ganze Land bereits schmerzhaft zu spüren bekommen. Im Nordosten waren Hunderte von Menschen bei einem winterlichen Kälteeinbruch gestorben, als die Heizölvorräte zur Neige gingen. Fluglinien, Speditionen und andere Transportunternehmen waren an den Rand des Bankrotts gedrängt worden, aber auch in anderen Industriezweigen hatte man bereits Tausende von Arbeitern freigestellt. Die ganze Wirtschaft drohte zusammenzubrechen, während in der breiten Öffentlichkeit der Unmut über eine Regierung zunahm, die nur wenig tun konnte, um die Kräfte von Angebot und Nachfrage zu beeinflussen.
»Es hat keinen Sinn, wütend auf die Kanadier zu werden«, sagte der Präsident. »Den Abbau am Athabasca zu unterbinden ist angesichts der zunehmenden globalen Erwärmung, die wir ständig vor Augen geführt bekommen, eher eine noble Geste.«
Sandecker nickte. »Ich habe gerade einen Bericht der NUMA über die Ozeantemperaturen erhalten. Die Meere wärmen sich wesentlich schneller auf als vorausgesagt, und gleichzeitig steigt der Meeresspiegel. Allem Anschein nach lässt sich das Abschmelzen der polaren Eiskappen nicht aufhalten. Der Anstieg des Meeresspiegels wird zu einem weltweiten Aufruhr führen, wie wir ihn uns nicht mal vorstellen können.«
»Als ob wir nicht schon genug Probleme hätten«, murmelte der Präsident. »Und nicht nur das, wir stehen vor möglicherweise verheerenden wirtschaftlichen Einbrüchen. Die weltweite Antikohlekampagne findet immer mehr Unterstützung. Viele Länder erwägen einen Boykott amerikanischer und chinesischer Waren, wenn wir nicht aufhören, Kohle zu verbrennen.«
»Das Problem ist nur«, warf Sandecker ein, »dass die mit Kohle befeuerten Kraftwerke die schlimmsten Verursacher
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