Polarsturm
von Treibhausgasemissionen sind – aber sie liefern auch die Hälfte unseres Stroms. Und wir haben die größten Kohlereserven der Welt. Es ist ein furchtbares Dilemma.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob es unser Land übersteht, wenn es tatsächlich zu einem internationalen Boykott kommen sollte«, erwiderte der Präsident mit leiser Stimme. Der erschöpfte Regierungschef lehnte sich zurück und rieb sich die Augen. »Ich fürchte, wir sind an einem kritischen Punkt angelangt, Jim, sowohl was die Wirtschaft als auch die Umwelt angeht. Uns droht eine Katastrophe, wenn wir nicht die richtigen Schritte einleiten.«
Der Druck nahm zu, und Sandecker sah, dass die Situation bei der Gesundheit des Präsidenten ihren Tribut forderte. »Wir müssen ein paar harte Entscheidungen treffen«, erwiderte Sandecker. Und da ihm der Mann, den er als guten Freund betrachtete, leidtat, fügte er hinzu: »Du kannst nicht alles allein lösen, Garner.«
Die müden Augen des Präsidenten funkelten mit einem Mal wütend auf. »Vielleicht nicht. Aber ich sollte es auch nicht versuchen müssen. Wir haben das seit einem Jahrzehnt kommen sehen, doch niemand war bereit zu handeln. Die früheren Regierungen haben die Ölindustrie aufgepäppelt und die Erforschung von erneuerbaren Energien mit Kleingeld abgespeist. Das Gleiche gilt für die globale Erwärmung. Der Kongress war so sehr mit dem Schutz der Kohleindustrie beschäftigt, dass man den ganzen Planeten vor die Hunde gehen ließ. Jeder wusste, dass die Abhängigkeit unserer Wirtschaft von ausländischem Öl eines Tages auf uns zurückfallen würde, und jetzt ist es soweit.«
»Über die Kurzsichtigkeit unserer Vorgänger müssen wir gar nicht debattieren«, pflichtete Sandecker bei. »Washington war nie für seinen Mut bekannt. Aber wir sind es dem amerikanischen Volk schuldig, alles in unserer Macht Stehende zu tun, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren.«
»Das amerikanische Volk«, erwiderte der Präsident gequält. »Was soll ich den Leuten denn sagen? Tut mir leid, aber wir haben den Kopf in den Sand gesteckt? Tut mir leid, uns drohen jetzt Treibstoffknappheit, Hyperinflation, steigende Arbeitslosigkeit und eine schwere Wirtschaftskrise? Tut mir leid, aber alle Welt will, dass wir keine Kohle mehr verbrennen, deshalb werden auch noch die Lichter ausgehen?«
Der Präsident sank in seinem Stuhl zusammen und starrte gedankenverloren die Wand an.
»Ich kann ihnen kein Wunder bieten«, sagte er.
Eine ganze Weile herrschte Schweigen, bis Sander leise das Wort ergriff. »Du musst auch kein Wunder anbieten, sondern ihnen nur erklären, dass alle werden Opfer bringen müssen. Es wird zwar eine bittere Pille sein, aber wir müssen Standhaftigkeit zeigen und unsere Energieversorgung vom Öl unabhängig machen. Die Öffentlichkeit ist flexibel, wenn es darauf ankommt. Leg die Karten auf den Tisch, Garner, dann stehen die Leute zu uns und akzeptieren die Opfer, die ihnen bevorstehen.«
»Vielleicht«, erwiderte der Präsident mit bedrücktem Ton. »Aber werden sie auch zu uns stehen, wenn ihnen klar wird, dass es möglicherweise zu spät ist?«
4
Elizabeth Finlay ging ans Schlafzimmerfenster und blickte zum Himmel. Ein leichter Nieselregen fiel, wie schon den ganzen Tag über, und es sah keineswegs so aus, als würde er aufhören. Sie drehte sich um und blickte auf das Wasser von Victoria Harbor, das an den Deich hinter ihrem Haus schwappte. Das Wasser im Hafen wirkte ruhig, doch ab und zu trieb der leichte Wind weiße Schaumkronen auf die Wellen. Schöner kann es für einen Frühlingssegeltörn im pazifischen Nordwesten kaum sein, dachte sie.
Sie zog einen dicken Pulli und eine wettergegerbte gelbe Regenjacke an und stieg die Treppe ihres weitläufigen Hauses hinab, das an der Küste lag. Es war von ihrem verstorbenen Mann in den 1990er-Jahren gebaut worden und hatte eine Vielzahl breiter Fenster, durch die man über das Hafenbecken hinweg einen herrlichen Blick auf das Stadtzentrum von Victoria hatte. T. J. Finlay hatte es so geplant, als ständige Erinnerung an die Stadt, die er liebte. Finlay, ein überlebensgroßer Mensch, hatte die hiesige Politik dominiert. Als Erbe eines großen Vermögens der Canadian Pacific Railway war er in jungen Jahren in die Politik gegangen und wurde zu einem beliebten und langjährigen Abgeordneten des Großraums Victoria. Dann war er unerwartet einem Herzanfall erlegen, wäre aber begeistert gewesen, wenn er gewusst hätte, dass seine Frau, mit der
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