Polifazios Vermächtnis (German Edition)
zu gewinnen. Für eine weitere hatte er keine Kraft mehr. Wild rauften sich die beiden auf dem Boden hin und her. Schließlich gelang es Himbi, seinen Dolch aus dem Gürtel zu ziehen. Der Guhl sah sofort die blitzende Klinge, die Himbi zum finalen Streich nach oben gerissen hatte. Mit der linken Hand packte der Guhl Himbis Arm und drückte gnadenlos zu. Wieder durchzog Himbis Körper ein fürchterlicher Schmerz. Der steinerne Griff des Guhls war unwiderstehlich. Himbi spürte, wie ihm die Kräfte schwanden. Mit letzter Kraft schlug er dem Guhl mit seiner linken Faust ins Gesicht. Dabei brüllte er Irias Namen. Die Wucht seines Schlages überraschte den Guhl derart, dass er seinen Griff um Himbis Waffenhand etwas lockerte. Mit einer solchen Kraft hatte der Guhl nicht mehr gerechnet. Schließlich dauerte der Kampf schon eine geraume Zeit an und Himbi war verwundet. Himbi spürte sofort, dass der Griff um seinen Arm gelockert wurde. Mit einer schnellen Drehbewegung, entgegen der natürlichen Bewegungsrichtung des Guhls, schaffte er es, seinen Arm aus dem Knochen brechenden Griff zu lösen. Der Guhl schrie vor Schmerz und Wut. Speichel und der kalte Atem des Todes umhüllten Himbis Gesicht. Dann ging alles ganz schnell. Mit der Masse seines ganzen Körpers ließ sich Himbi auf den Guhl fallen. Voran hielt er seinen Dolch. Als er auf dem Körper des Guhls zu liegen kam, verstummten dessen Schreie von einer Sekunde auf die andere. Himbi ging auf Nummer sicher und stieß den Dolch noch tiefer in die Kehle des Guhls. Ruhe kehrte wieder in den Stollen ein. Es war vorbei. Himbi hatte es tatsächlich geschafft. Schnell atmend rollte sich Himbi von dem leblosen Körper seines Gegners. Sein Dolch steckte noch immer in der Kehle des Ungeheuers. Nach Atem ringend setzte sich Himbi auf und lehnte sich an die kalte, feuchte Wand des Stollens. Vorsichtig öffnete Himbi seinen Kapuzenmantel und fuhr sich mit seiner rechten Hand unter sein Kettenhemd. Sofort brannte seine Wunde noch stärker als zuvor. Wieder wurde ihm schwarz vor Augen. Sofort nahm er seine Hand unter dem Mantel hervor. Himbi blickte auf den toten Körper des Guhls. Nun verstand er, warum diese Kreaturen von allen so verhasst und gefürchtet waren.
„Leg dich niemals mit einem verliebten Zwerg aus Xandriat an!“, sagte Himbi mit schmerzverzerrten Lachen.
Sofort rann er wieder nach Atem. Himbis Blick wanderte über den Körper des Guhls hinweg zu der langsam schwächer werdenden Flamme seiner Grubenlampe. Diese war bei dem Kampf umgefallen und ausgelaufen. Eine tellergroße Pfütze aus brennendem Lampenöl loderte schwächer werdend in dem Gang. Langsam beugte sich Himbi vor und zog mit seinem rechten Arm den Rucksack zu sich heran.
Erinnerungen
Himbi hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Offensichtlich stimmte es wirklich, dass der Biss eines Guhls giftig war. Himbi konnte förmlich spüren, wie sich das Gift langsam in seinem ganzen Körper ausbreitete. Er fühlte sich schlapp, unfähig auch nur einen einzigen Schritt zu machen. Das Atmen fiel ihm immer schwerer. Mittlerweile hörte es sich wie rasselnd an, wenn er Luft holte.
„ Das ist nicht gut!“, dachte er.
Himbi öffnete seinen Rucksack und holte mit beiden Händen den wunderschön geformten Bergkristall heraus. Vorsichtig setzte er ihn direkt vor der brennenden Pfütze ab. Sofort brach sich das Licht des Feuers wieder in den Farben des Regenbogens und erhellten den Gang. Durch das Flackern der Flammen schien es, als würden die Regenbogenstrahlen hin und her wandern. Das Schauspiel, das sich Himbi in diesem Moment bot, war von atemberaubender Schönheit. Sofort verspürte er Wärme und Heiterkeit in seinem Herzen.
„Ach, wenn Iria das doch bloß sehen könnte“, seufzte er bei dem Gedanken daran, sie nie wieder zu sehen.
In diesem Moment verfluchte er die alten Bräuche seines Volkes, die ihm oft nicht mehr zeitgemäß erschienen. Warum konnte er nicht einfach um Irias Hand anhalten? Warum musste er ihrem Vater dieses verdammte Geschenk machen, nur, damit dieser der Hochzeit zustimmte? Das war einfach nicht gerecht. Aber so war es nun einmal Sitte. Und diese Sitte resultierte daraus, dass es im Volke der Zwerge verhältnismäßig wenige Frauen gab. Auf eine Frau kamen an die fünf Männer. Dadurch entwickelte sich der Brauch, dass ein jeder Vater den Bräutigam seiner Tochter selbst aussuchte. Dies ermöglichte den Vätern denjenigen unter den Bewerbern auszusuchen, der
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