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Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Titel: Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Soboczynski
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Glasboden herabsinken. Man kann nicht sagen, daß der Kaffee schmeckt. Er schmeckt nie, aber er macht
     wach.
    Dann schweigt sie eine Weile, nippt am Kaffee, sagt, daß ihr Bruder Janek vor wenigen Wochen verstarb. Und zwar in Deutschland.
     »Janek«, sagt sie, »den |17| kennst du doch, der nahm dich auf seinem Moped mit, drehte Runden durch die Stadt.« Ich erinnere mich nicht.
    Er sei überführt worden, er liege hier, drei Straßen weiter, auf dem Friedhof, sagt Grażyna. Wie so viele habe auch er es
     nicht mehr in Polen ausgehalten, sei geflohen, 1988, nach Bonn. Die Welt stand ihm offen, ein Meer von Möglichkeiten, der
     weite Westen. Janek schrieb Briefe, doch der Kontakt, sagt Grażyna, sei schnell abgebrochen: Heroin. Sie erzählt, daß sie
     hinfuhr, immer wieder, nach der Wende, mit ihrem Mann, daß sie ihn gesucht habe auf den Straßen der damaligen Bundeshauptstadt.
     Und ihn schließlich traf, am Rande des Bahnhofs, am sogenannten Bonner Loch, wo die Penner sitzen. Ganz kleine Pupillen habe
     er gehabt. Aber seltsam, sagt Grażyna, nicht wie die anderen Junkies habe er ausgesehen, nicht ausgemergelt, sondern aufgedunsen.
     »Er war immer so schlank.«
    Entziehungskuren folgten, nichts half, dann vor kurzem: Überdosis. Mit vierzig.
    Ich wohnte acht Jahre in Bonn, im Zentrum, ich werde ihn gesehen haben … »Und womöglich dich auch«, sage ich zu ihr. »Der
     Zufall«, erwidert Grażyna knapp, sie lächelt wieder, »hat uns verpaßt.«
    Als meine Eltern den Aufbruch in den Westen beschlossen, saßen sie in der Küche. Rauchend. Vater wollte weg. Mutter sagte,
     während sie energisch eine Zigarette ausdrückte, so schlecht gehe es uns doch nicht. |18| So schlecht nicht, daß ein neues Leben zu wagen sei. Selbst das Auto, ein Fiat Polski, sei in greifbarer Nähe, bereits bezahlt,
     auf einer Auslieferungswarteliste, nur noch wenige Jahre, dann sei es soweit. Dann blickte sie aus dem Fenster auf unsere
     Straße. Vater sagte: »Willst du in den Schlangen stehen, ein Leben lang?«
    Mit Lebensmittelmarken in der Hand stand Mutter, die Schneiderin, vor Geschäften. 1,5 Kilogramm Fleisch gab es für jeden Erwachsenen
     pro Monat, ein wenig Wodka, ein wenig Gemüse und Obst. Die Wirtschaft Polens drohte zu kollabieren.
    Vater sagte, er habe Angst, schließlich sei er in der Solidarność, die Kommunisten würden bald wüten. Mutter erwiderte: »So
     viele in diesem Land sind in der Solidarność.« Wir würden das aushalten. Vater: »Der Junge wartet auf eine Operation. Das
     Bein. Die Krankenhäuser in Deutschland sind besser.«
    Am Abend kam Mutter an mein Bett, zog die Decke zurecht, sagte: »Wir werden bald nie mehr in Schlangen stehen.«
    Nur wenige Monate später, am Abend unserer Abreise, wurde mein Fahrrad an ein Nachbarskind übergeben. Auf meiner Straße. Es
     hatte nur ein Pedal für das gesunde, das rechte Bein. Das linke Pedal hatte mein Vater abmontiert, es wurde nun separat, in
     einer Stofftasche eingewickelt, übergeben. Dann fuhren wir in einem Taxi zum Bahnhof. Es war, damals äußerst selten, ein alter,
     weißer Mercedes. Vater saß mit mir auf der |19| Rückbank, sagte: »Siehst du, wir sind schon fast in Deutschland.«
    Bereits in Gestalt von Onkel Ryszard hatte der Westen gelockt. Immer im Sommer stand sein Besuch an. Der Bruder meiner Mutter,
     damals Mitte Zwanzig, war vor uns nach Deutschland gezogen. Um seinen Ford Taunus, mit dem er aus dem unbekannten Land kam,
     scharten sich die Arbeiter der Elana, unsere Nachbarn. Sie inspizierten die mächtige Kühlerhaube, spuckten im Takt auf die
     Straße, sprachen über Zylinder und Umdrehungszahlen. Und immer wieder starrten sie ins Wageninnere. Onkel Ryszard öffnete
     den Kofferraum, schwere Kisten waren darin, die er in unsere Wohnung trug, an den Nachbarn vorbei. Er packte sie aus, beherzt,
     verstreute ihren Inhalt auf dem Teppichboden. Und machte Fotos. Mit einer Polaroid-Kamera. Auf der einzigen Farbfotografie,
     die mich in Polen zeigt, sitze ich auf dem Boden, umringt von bunt verpackter Schokolade, Südfrüchten und Waschpulverpackungen.
    An meine polnische Kindheit denke ich in Schwarzweiß. Vermutlich liegt es an den vergilbten Fotografien, die ich mir in Deutschland
     anschaute und die meine Kindheitserinnerungen nach und nach entfärbten. Ich erinnere mich nicht an Freunde, außer an Grażyna.
     Kein Wettrennen um den Block mit Gleichaltrigen, dem ich hätte standhalten können. Ich erinnere mich an eingemachte Gurken
    

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