PolyPlay
garantiert ehemalige Westunternehmer, die die Krise '87 und die Militärdiktatur unbeschadet überstanden hatten, ebenso wie die Sozialisierung nach der Wiedervereinigung. Dankbar hätte diese Klientel sein sollen, dass man sie nicht mit Sack und Pack davongejagt hatte, aber das Gegenteil war der Fall. Die meisten hatten sich zehn Jahre später noch nicht daran gewöhnt, dass sie keine richtigen »Chefs« mehr waren, sondern nur noch die leitenden Kader eines Staatsbetriebs. Das schadete ihrem Prestigebewusstsein, machte sie mürrisch. Sie hätten nach Frankreich oder England gehen können, da hatte freies Unternehmertum noch eine echte Chance. Allerdings war dort die Wahrscheinlichkeit auch sehr viel größer, richtig auf die Schnauze zu fallen. Das Einzige, was diese Typen gegen ihren Frust unternehmen konnten, war die ständige Demonstration ihres Status. Sie trugen immer die beste Kleidung und hatten immer die teuersten Autos mit allen verfügbaren Schikanen, wie Jugendliche, die sich jeden Mist an ihre Fahrräder und Mopeds pappen mussten, der irgendwie noch dranpasste. An ihrem Arbeitsplatz waren sie für ihren Führungsstil gefürchtet. Wenn sie deswegen mit Untergebenen oder Vorgesetzten aneinander gerieten, beriefen sie sich ausnahmslos auf die sehr rigiden Arbeitsschutzgesetze des Landes, das sie hassten. In Restaurants ließen sie Speisen oft zurückgehen. Sie nölten an allem und jedem herum. Sie trugen ständig das Bewusstsein der eigenen Unersetzlichkeit vor sich her, als hätten sie gerade das Wasser erfunden, und sie geizten natürlich auch nicht mit Sprüchen wie: »Ohne uns wär hier doch alles schon den Bach runter.« Wenn ein Ostdeutscher »Scheißwessi« sagte, meinte er Typen wie die da. Und Kramer kamen sie gerade recht.
Mit zwei langen Schritten war er bei ihnen, den Dienstausweis immer noch in der Hand. »Kriminalpolizei«, sagte er, und: »Die Ausweise, aber dalli.«
In die beiden Figuren kam Bewegung, und Kramer hatte die Ausweise recht fix in Händen. Mit den alten Ausweisbüchlein hatten die kleinen Rechtecke nicht mehr viel zu tun. Es handelte sich im Grunde um sehr flache Bildschirme in Scheckkartengröße, die alle möglichen Informationen über den Träger gespeichert hatten, in erster Linie die Personaldaten und alles, was früher der Sozialversicherungsausweis der alten DDR enthalten hatte. Geld abheben konnte man damit auch, und teure Haustürschlösser, Sicherheitsschranken und Stechuhren wollten nur noch mit derartigen Karten bedient werden. Der Zugang zu den Daten war codiert, aber Kramer hatte einen Generalcode, denn er war ein Staatsorgan. Es war ein offenes Geheimnis, dass auf diesen Karten Daten über die Besitzer gespeichert waren, zu denen sie selbst keinen Zugang hatten, die Staatsorgane aber schon. Kramer studierte die Ausweise. Wie er es sich gedacht hatte: Peter Mödinger und Stefan Eick, 47 und 51 Jahre alt, beide leitende Kader beim VEB Rotring Hamburg.
»Grund für den Aufenthalt in Berlin?«
»Wir sind hier auf Geschäftsreise.«
»Ja natürlich, Geschäftsreise. Und heute Abend Friedrichsstadtpalast und dann noch ein bisschen ficken, was?«
Kramer sprach relativ laut, damit die gespitzten Ohren um sie herum auch etwas zu hören bekamen.
»Wisst ihr was? Ihr verpfeift euch jetzt. Und wenn ihr mir noch mal dumm kommt, dann kriegt ihr richtig Probleme. Habt ihr das?«
Kramer steckte die beiden Ausweise noch einmal kurz in sein Taschenlesegerät, ein flüssiger, hundertfach geübter Bewegungsablauf, dann drückte er sie Peter mit der flachen Hand fest an die Brust. Zog die Hand zurück, drehte sich wortlos um und ging an dem Platzierungsclown vorbei in den Gastraum. Er bekam noch mit, dass die Ausweise zu Boden gefallen waren, weil Peter sie nicht gleich zu fassen gekriegt hatte. Machte nichts, die Dinger waren unzerbrechlich.
Später betrachtete er unzufrieden seinen leeren Teller. Hühnchen Hongkong-Art war aus gewesen, und er hatte Chop Suey mit Rindfleisch gegessen, Rinderwahn hin oder her, EVP mit Sättigungsbeilage und Nachtisch: 6,15 Mark.
Das war so richtig Scheiße, mein Lieber, dachte er. Sich über das perverse Getue der Stasi aufregen, aber ein paar Wessi-Pappnasen hochnehmen, weil sie ihm quer kamen, ja was denn noch? Würde er demnächst Falschparker erschießen oder Omas in den Polizeigriff nehmen, weil ihre Hunde auf den Rasen gekackt hatten? Er konnte bloß hoffen, dass die beiden sich nicht beschwerten. So was kam mittlerweile vor. Was
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