PolyPlay
würde an dem Fall arbeiten, wie er an jedem Fall arbeitete: Er wollte wissen, was wirklich passiert war.
Er klickte sich noch ein wenig durch Michael Abuschs Leben und Sterben. Während seiner Abwesenheit war nicht viel passiert. Der Fall war gerade in den offiziellen Polizeibericht gegangen. In ein paar Stunden würden die ersten Hinweise aus der Bevölkerung eingehen, ein vorläufiger Bericht der Spurensicherung würde greifbar sein, ein paar erste Aussagen von der Autopsie. Es würde etwas zu tun geben. Bis dahin konnte man im Grunde nur warten.
Nachdem er das AV-Fenster ganz hatte durchlaufen lassen, stutzte er: Es war eine Vermisstenanzeige für Michael Abusch aufgegeben worden, bei einem Revier in Weißensee. Kramer öffnete den Vorgang und stellte fest: Die Anzeige war keine halbe Stunde alt und stammte von Katharina Abusch. Was das bedeutete, war völlig klar. Er rief Pasulke herein, per Sprechanlage.
Pasulkes Kartoffelgesicht wirkte immer besonders knollig, wenn er Bockmist gebaut hatte und sich dessen bewusst war.
»Warum warst du nicht bei der Mutter?«
»Ich hab Altfälle durchgesehen, die mit Abusch zu tun haben könnten. War ein Haufen Arbeit. Ich …«
»Komisch. Ich hab irgendwie das Gefühl, mir wird seit heute Morgen Quatsch erzählt. Wie kommt das bloß?«
»Ich hab's verschwitzt.«
»Klingt schon besser. Deutet ein Versagen an. Vielleicht sogar Hilflosigkeit. Möglicherweise hattest du einfach Schiss.«
»So isses, Rüdiger. So isses. Du weißt, ich mach das nicht gerne. Ich hab das noch nie gerne gemacht.«
Und das stimmte. Was nichts daran änderte, dass er dran gewesen wäre.
»Soll ich's sagen?«, fragte Kramer.
»Sag's halt.«
»Alles muss man selber machen«, stimmte Kramer an.
»Nur bei der Beerdigung, da wird geholfen«, vervollständigte Pasulke ihren Standardwitz für solche Situationen.
Als Kramer an der weißen Tür der Villa klingelte, bellte ein Hund. Sonst passierte eine ganze Weile lang nichts, und Kramer hatte ausführlich Gelegenheit, den Eingangsbereich des Anwesens zu betrachten. Sandsteintreppe: gediegene Topfpflanzen, eine Tür, die zierlich aussah, aber bestimmt recht einbruchssicher war – alles, wie es sich gehörte und wie man es bei einer erfolgreichen Künstlerin erwartete. Kramer sah sich das Ensemble ohne Neid an, er hatte selbst eine schöne Wohnung. Der Hund bellte immer noch. »Ja?«, kam es aus der Wechselsprechanlage. Gute Klangqualität. »Kramer hier, Kriminalpolizei. Ich muss Katharina Abusch sprechen.« Seine Stimme klang barsch in seinen Ohren, er war nervöser als geahnt. »Können Sie sich ausweisen? Die Kamera ist oben links.« Kramer seufzte. Dass die Bevölkerung nicht mehr so obrigkeitshörig war, konnte seine Nachteile haben. Er hielt seinen Ausweis nach links oben, und die Tür öffnete sich mit einem kaum hörbaren Klicken.
Auch in der Halle wirkte alles gediegen, Steinfußboden in Schachbrettmuster, helles Holz bis in halbe Höhe, darüber schlichtes Tapetenweiß. An der Wand eine große Druckgrafik, auf der fast nichts zu sehen war, so sparsam war der Künstler verfahren. Gediegenheit, kein Geprotze. Die Treppe herunter wuselte der Hund, fortwährend bellend, eine Frau folgte ihm langsamer. Der Hund stellte sich vor Kramer auf und bellte. Man konnte nicht sagen, dass Kramer Hunde hasste. Er sah nur den Sinn nicht. Abgesehen vom Fressen, Scheißen, Bellen und Stöckchenapportieren hatte er Hunde noch bei keiner relevanten Tätigkeit beobachtet, und dafür wäre ihm das Futter zu schade gewesen. Dieser Hund hier, eine große, dreckbraune Promenadenmischung mit einer erstaunlich kräftigen Stimme, schien sich aufs Bellen spezialisiert zu haben.
»Wotan, bitte«, sagte die Frau, und der Lärm endete abrupt. »Sie müssen entschuldigen, der Hund ist manchmal ein wenig schreckhaft.«
An dieser Frau war alles hell – helle Haare, helle Haut, helle Augen. Sie rauchte, und ihre Hände zitterten dabei.
»Kommen Sie.«
An zwei geschlossenen Türen vorbei gingen sie auf eine dritte zu, dahinter lag ein Salon. Esstisch, Teetisch, die Möbel schlicht und modern, der Flügel im Hintergrund: Gediegenheit. Kramer gefiel das alles. Hier hatte ein Innenarchitekt sich was gedacht.
»Setzen Sie sich – bitte«, sagte Katharina Abusch. Jetzt zitterte auch ihre Stimme. Oh, wie diese Frau es hasste, die Kontrolle zu verlieren. Der Hund scharwenzelte nervös im Salon herum.
»Michael ist etwas zugestoßen«, sagte sie.
»Er ist tot«,
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