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PolyPlay

PolyPlay

Titel: PolyPlay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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entgegnete Kramer.
    Sie nickte mechanisch. »Ja«, sagte sie, »ja.«
    Ihre Haut wurde fast durchsichtig. Er konnte eine feine Ader an ihrer Schläfe pulsieren sehen. Kramer hatte nicht die geringste Ahnung, was er tun sollte.
    »Er ist … ermordet worden, Frau Abusch. Ich bin der ermittelnde Beamte.«
    »Gehen Sie«, sagte die Pianistin mit erstickter Stimme, und dann kam der Weinkrampf. Sie klappte in ihrem Stuhl zusammen wie eine Puppe, wickelte ihre Arme um ihre Knie und schrie und weinte zugleich. Der Hund bellte wieder los. Erbärmlichkeit. Die reine, unverwässerte Erbärmlichkeit. Kramer legte zwei Karten auf den Teetisch, einmal seine eigene, dann die des Psychologischen Opferdienstes. Die Frau würde ihr zermalmtes Kind auch noch identifizieren müssen. Er konnte nichts für sie tun.
    Er stand auf und lief hinaus. Als er die Klinke der Haustür schon in der Hand hatte, bereit zur Flucht, wandte er sich noch einmal um, und die beiden Türen, die ihm vorhin schon aufgefallen waren, fielen ihm ein zweites Mal auf. Nichts Besonderes eigentlich. Zwei weiße Türen, zwei Zimmer, die von der Eingangshalle einer Villa abgingen. Kramer ging kurz entschlossen durch die rechte und stand in Michael Abuschs Jugendzimmer. Ein schönes Zimmer, mit großen Fenstern und sogar einem Oberlicht. Es war wohl Teil eines Anbaus, der Kramer von draußen nicht aufgefallen war. Das Chaos hatte Klasse. Auf dem Boden verstreut lagen Comics, Bücher, Pizzakartons, die Hüllen aller möglicher Klangträger von der LP bis zur Minidisc; auch das eine oder andere elektronische Bauteil lugte hervor. Das Bücherregal hätte man wohl auch als eine Skulptur betrachten können, der die Idee zugrunde lag, möglichst viele Bücher auf möglichst wenig Raum unterzubringen. Kramer sah nur vorsichtig hin, aus Angst, seine Blicke könnten die Statik gefährden. Computerbücher, Computerbücher, Computerbücher. Ein Junge und sein Hobby. Neben verschiedenen Postern – eines zeigte offenbar den Schlagzeuger von »Solanaceae Tau« – hing ein FDJ-Hemd, fein säuberlich in Rahmen und Passepartout. Es war mit dem Schriftzug »1/20.000.000 Abusch« verziert. Kramer schmunzelte.
    Auf dem Tisch standen zwei Rechner: ein alter Robotron EC 1835, wie er in der Wendezeit auch noch vereinzelt in den Amtsstuben aufgetaucht war, und ein anderer. Ein sehr anderer. Neben dem flachsten Bildschirm, den Kramer je gesehen hatte (höchstens so dick wie fünf oder sechs Blatt Papier), lag ein Kästchen von der Größe eines durchschnittlichen Buchs. Außer einem einzigen Statuslicht war daran nichts zu erkennen. Keine Laufwerksschächte, keine Lüftung, nichts. Die Tastatur, die vor dem Bildschirm lag, hatte es ebenfalls in sich. Sie sah eher aus wie das Skelett einer Tastatur. Das sehr sparsame und außerdem durchsichtige Gehäuse ließ die Tasten wirken, als schwebten sie knapp über der Tischoberfläche. Die drei Komponenten waren nicht durch Kabel miteinander verbunden.
    Kramer dachte kurz nach und schlug die »Eingabe«-Taste an. Die Statusanzeige an dem buchgroßen Kästchen leuchtete auf, der Bildschirm zeigte plötzlich eine aufgewühlte Seelandschaft mit meterhohen Wellen und gischtigen Schaumkronen (die Bildqualität war unglaublich), und eine weibliche Stimme fragte: »Identifikation?«
    Kramer antwortete, fast automatisch: »Kramer, Kriminalpolizei.«
    Bildschirm aus, Statusanzeige aus, Totenstille. Der Rechner hatte sich genauso schnell wieder abgeschaltet, wie er angesprungen war.
    »Was machen Sie hier?«
    Katharina Abusch und ihr Hund standen in der Zimmertür. Sie hatte rot geweinte Augen. Sie rauchte zitternd. Der Hund knurrte leise.
    »Ich … nichts. Ich wollte mich umsehen.«
    »Gehen Sie«, sagte sie, knapp an der Grenze zur Hysterie. »Ich will jetzt allein sein.«
    »Natürlich«, sagte Kramer.
    Auf dem Kiesweg zur Straße kam er sich wie ein ertappter Schüler vor. Er hörte den Hund noch bellen, als er in sein Auto stieg.
     
    »Ich erzähl dir das morgen.«
    »Wieso morgen? Lobedanz will dich sprechen. War nicht gut gelaunt.«
    »Das bin ich auch nicht. Ich geh jetzt zum Handball.«
    »Mensch, Rüdiger, du kannst doch jetzt nicht zum Handball gehen! Hier rufen andauernd irgendwelche Pressefuzzis an, Lobedanz hat sogar was von einer Pressekonferenz fallen lassen!«
    »Ich war bei der Mutter. Du wolltest ja nicht hin. War ziemlich seltsam. Da muss ich drüber nachdenken, und beim Handball denk ich über so was am besten nach. Ich erzähl dir

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