PolyPlay
für ein Tag!
Als er die Rolltreppe zum Erdgeschoss des Kulturhauses hinunterfuhr, wurde der Mann, der eben mit dem Kopf auf dem Schachtisch gelegen hatte, gerade von SMH-Leuten auf eine Bahre gelegt. Kramer war gerade am Fuß der Treppe angekommen, da zog man ihm das Laken über den Kopf. Einen Augenblick stand er unschlüssig herum und betrachtete die Szenerie, dann ging er kopfschüttelnd weiter.
Nu pogodi
»Habt ihr schon mal was von einem weiblichen Stasi-Major gehört?«
Kramers Gegenfrage auf das obligatorische »Na, wie war's?« von Pasulke hing eine Weile in der Luft wie ein gasgefüllter Ballon, von dem man nicht wusste: steigt er oder sinkt er.
»War sie denn hübsch?«, fragte Pasulke zurück und erwischte Kramer damit auf dem falschen Fuß. Ja, sie war hübsch gewesen. Auf eine Weise, dass sich Kramers Magen noch jetzt zusammenkrampfte, wenn er an sie dachte.
»Das ist doch nicht der Punkt. Seit wann machen Frauen bei der Stasi Karriere? Ich meine offiziell?«
»Sag mal, Rüdiger«, warf Pasulke in gespieltem Ernst ein, »entwickelst du dich etwa zu einem – Frauenfeind? Das ist aber gegen die Beschlüsse des XIII. Parteitags der SED, vor allem was die Frau-en-fra-ge angeht …«
»Hör schon auf«, sagte Kramer und rieb sich die Stirn. Er war nicht in Stimmung für die üblichen Spielchen, mit denen sich die Kommission über tote Punkte hinwegbrachte. »Du weißt doch genau, was ich meine. Und noch was. Ratet mal, wer bei diesem Ringelpietz mit Anfassen noch dabei war. Oder ratet lieber nicht, ihr kommt eh nicht drauf.«
Pasulke und die anderen hoben unisono die Hände, als wüssten sie nicht, ob sie nun raten sollten oder nicht.
»Mischa Wolf.«
»Was?«
»Genau der. Sitzt da wie ein Ölgötze, sagt nix, grinst nur. Wie der nette Schriftsteller von nebenan. Gepflegte Erscheinung, versteht sich. Und der Dritte – ich hör besser auf …«
»Mischa Wolf? Du machst Witze!« Pasulke war jetzt auch ernst. Wie meistens, wenn er anderen unterstellte, Witze zu machen.
»Seh ich so aus?«, gab Kramer zurück. »Ach, Schifferscheiße. Ich geh jetzt was arbeiten. Und ihr auch.«
In seinem Büro roch es schlecht, und Kramer verfluchte zum hundertsten Mal den bescheuerten Architekten, der die Fenster dieses Gebäudes verbrochen hatte: Sie ließen sich nur eine Handbreit öffnen, wahrscheinlich damit sich all die verzweifelten Bürohengste nicht hinausstürzten.
Kramer befragte DORA. Wie durch Zauberhand waren dem Abusch-Fall vier weitere zugeordnet worden. Wenn er jetzt nach Michael Abusch fragte, öffnete sich automatisch ein neues Fenster, das die fünf Fälle dreidimensional zueinander in Beziehung setzte – mit freundlichen Grüßen von Majorin Schindler. Kramer schaute sich die Fälle an und hatte nach zehn Minuten begriffen, dass er verkohlt werden sollte. Nach allem, was da zu sehen und zu lesen war, hatten Michael Abusch und diese vier nie etwas miteinander zu tun gehabt. Alle vier waren wesentlich älter als Michael. Sie hatten teilweise Verwarnungs- und Vorstrafenlisten so lang wie Kramers Unterarm. Hauptsächlich ging es dabei um illegale Software, zwei von ihnen hatten deswegen gesessen. Einer der vier war bei einer leibhaftigen Schießerei umgekommen. Was immer diese vier Fälle miteinander verband, es hatte nichts mit dem Mord an Michael Abusch zu tun. Vorausgesetzt, dachte Kramer, diese vier Fälle sind nicht eh von Grund auf erfunden. Zuzutrauen war's ihnen. Die Stasi hatte ihm Scheiße erzählt, das war nichts unbedingt Neues, aber das hier war Scheiße hoch Lichtgeschwindigkeit. Keine Verbindung, ganz andere Baustelle.
Fast war Kramer zufrieden. Er hatte befürchtet, die Stasi könnte ein paar stichhaltige Belege für die politische Dimension des Falles beigebracht haben, und dann hätte er den Fall nur abgeben können. Aber die Stasi wollte ihm einen Bären aufbinden. Und die kleine Geheimdienstoperette hatte ihm schon mal ein bisschen Druck machen sollen. Billig, billig. Dass einer wie Wolf sich für so ein Schmierenstück hergab! Wenn der nichts Besseres zu tun hatte auf seine alten Tage. Auf jeden Fall würde man demnächst noch hören vom neuen Hobby der Stasi, der gar erschröcklichen Wühltätigkeit einer politkriminellen (konterrevolutionären) Softwaremafia, die der deutschen Jugend ans Leder wollte. Er konnte sich den Mist schon bildlich vorstellen. Nun gut, er wusste jetzt, woran er war. Sollten sie doch glauben, er gehe ihrer politischen Spur auf den Leim. Er
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