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PolyPlay

PolyPlay

Titel: PolyPlay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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Träume wärst? Wie wäre das? Wer bist du, Rüdiger Kramer? Was bist du?«
    Kramer wurde schwindelig. Er fühlte sich, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggezogen, als stürze er, ohne zu fallen.
    »Du bist Software«, sagte eine andere Stimme in seine Verwirrung hinein. Es war die Stimme Athenes. Sie schnitt durch ihn hindurch wie Messer aus Eis. »Code! Du bist ein Programm, Rüdiger, erschaffen, um mit uns ein Spiel zu spielen. Das Spiel heißt Polyplay. Es ist nicht das kleine, dumme Spiel, das du bisher kanntest, obwohl es den gleichen Namen hat. Es ist ein viel größeres, viel komplexeres, viel wunderbareres Spiel, als du dir überhaupt vorstellen kannst. Es ist eine Welt. Viele Welten. Wir«, sagte Athene, »sind Spieler. Wir sind Götter. Und du bist Teil des Spiels. Ein intelligenter, fühlender Teil des Spiels. Eine Schachfigur mit Gehirn.«
    Es brauste in Kramers Ohren. Er taumelte.
    »Das ist nicht wahr!«, brach es aus ihm heraus. »Ich bin Rüdiger Kramer. Ich bin ein Mensch! Ich habe eine Geschichte! Ich habe Erinnerungen! Ich –«
    »Ein faszinierender Moment, wenn die Emergenzen mürb werden«, hörte er jemanden sagen, laut und deutlich. »Ich liebe das.«
    »Erinnerungen!« Zeus sprach wieder. »Deine Erinnerungen sind eine Datenbank!«
    Eine Wand des Naiskos leuchtete auf und zeigte eine verwirrende Struktur von miteinander verbundenen metallischen Würfeln, die in öligen Regenbogenfarben schimmerten. Sie schienen bis in die Unendlichkeit zu reichen.
    »Das sind deine Erinnerungen, Rüdiger. Du bist eine Geist-Maschine, ein Stück Software, das im Zusammenspiel mit einer Menge Hardware glaubt, ein Mensch zu sein. Du bist eine künstliche Intelligenz, mein Freund. Applaus, Applaus, Applaus, die Welt hat keine Ahnung davon, dass es Dinge wie dich überhaupt schon gibt. Aber wir sperren deinen Zugriff auf deine Erinnerungsdatenbanken, und du weißt nicht einmal mehr, wie du heißt. Soll ich es dir beweisen?«
    Zeus hob die Faust voller Blitze. Kramer sah ihm dabei zu. Die Verbindungen zwischen den Würfeln an der Wand verschwanden.
    Was dann kam, dauerte nur einen Moment, aber es war so schrecklich, dass sich Kramer danach fühlte, als müsse er sterben: ein kurzer Blick in das absolute Nichts. Wie ein Ruck durchzuckte ihn die Erkenntnis, dass das Nichts jedem fühlenden Etwas Schmerzen verursachte, die mit nichts anderem vergleichbar waren.
     »Hast du das gespürt, mein lieber Mensch? Das bist du in der Polyplay-Welt, ohne deine Zugriffsrechte: Ein Bündel schreiender, künstlicher Synapsen ohne Input und ohne Geschichte. Glaubst du es jetzt? Nein? Im Grunde weißt du genau, dass wir Recht haben. Hat sich deine kleine Welt nicht seltsam angefühlt, nachdem Michael Abusch gestorben war? War sie nicht durch und durch komisch? Befremdlich? Hast du dich nie gefragt, warum niemand, wirklich niemand wissen wollte, wie euer putziger Müller-Lohmann-Prozess wirklich funktioniert? Warum ist er dir selbst nie fragwürdig vorgekommen? Und all diese Zufälle bei deinen Ermittlungen. All diese unwahrscheinlichen Verknüpfungen. Das war das Spiel, Rüdiger! Du hattest eine Menge Potenzial, und wir wollten etwas daraus machen. Aber du hast uns enttäuscht. Du hast versagt. Immer zu brav. Nicht helle genug. Man musste dich auf manches ja beinahe mit der Nase stoßen, und selbst dann warst du schwer von Begriff. Hin und wieder fragten wir uns sogar, ob unsere Programmierung fehlerhaft war. Stur warst du! Aber sicher nicht so intelligent, wie wir uns das gewünscht hatten. Wir rechneten uns gute Chancen aus. Aber wir haben verloren. Wegen dir.«
    Mit einer eleganten Handbewegung ließ Zeus das Würfelbild verschwinden und ersetzte es durch ein riesiges Porträt von Michael Abusch. Ein großer kalter Wind ging durch Kramer hindurch.
    »Im Grunde wart ihr euch beide sehr ähnlich. Warum auch nicht, ihr seid vom gleichen Team programmiert worden. Ja, ja, Rüdiger, langsam dämmert es dir, nicht wahr? Du hast zu einer kleinen Gruppe von Kunstintelligenzen gehört, und ihr beiden habt mit Software-Statisten und Göttern ein Spiel gespielt, in einer künstlichen Welt, die du unter dem Namen DDR kennst und die wir das Aktivitätsniveau nennen. Wir hätten mit euch gewinnen können auf diesem speziellen Aktivitätsniveau. Es war alles fein geplant und austariert. Michael Abusch war hartnäckig, und ihm fiel auf, dass etwas nicht stimmte. Wenn er erfolgreich gewesen wäre, hätten wir dich gar nicht gebraucht.

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