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PolyPlay

PolyPlay

Titel: PolyPlay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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Hunderten von Jahren nicht austrocknen können.
    »Wir sind gleich da«, sagte Marx. Seine Augen und sein Mund wirkten in dem Zwielicht wie kleine Höhlen.
    Die Treppe hinauf ins Licht. Geblendet standen sie auf dem Hof, umgeben von fast weißen Steinmauern. Jetzt erst begann Kramer das ungeheure Ausmaß dieser Tempelanlage zu ahnen. Denn dieser Innenhof, oder das »Adyton«, wie Marx ihn genannt hatte, war ungefähr vierzig Meter lang und zwanzig Meter breit, und er beherbergte an seinem fernen Ende noch einmal ein kleines separates Tempelchen, das im Vergleich zu den Gigantenmauern wie ein Spielzeug wirkte.
    »Dies«, sagte Marx und zeigte auf den Tempel, »ist der Naiskos. Gewissermaßen das Allerheiligste im Allerheiligsten. Religionen sind wie Babuschkapuppen. Es gibt immer noch etwas Heiligeres, wenn man schon glaubt, das Innerste erreicht zu haben. Faszinierend, nicht wahr?« Der Philosoph lachte. Es klang ein wenig asthmatisch.
    Das Spielzeugheiligtum war gar nicht so klein. Links neben ihm stand ein stattlicher Lorbeerbaum, und das Dach des Naiskos überragte ihn. Sieben Meter, schätzte Kramer. Vielleicht acht. Um den Tempel herum waren einige Altäre verstreut, auf denen Amphoren in eisernen Dreifüßen standen, niedere Tongefäße und offene Bronzeschalen, in denen offenbar verdorbene Speisen aufbewahrt wurden. Die Luft roch nach Verwesung und nach sauer gewordenem Wein. Auch einige der Todesvögel stritten sich um Fetzen von ranzigem Fleisch und verfaultem Getreide. »Weihegaben«, sagte Marx.
    Eine unerklärliche Angst stieg in Kramer auf. Dieser Traum war anders, befremdlich anders, und er begann sich nach dem Aufwachen zu sehnen. Sie traten ein.
     
    Im Innenraum des Naiskos trafen sie nicht auf Friedrich Engels, wie Kramer insgeheim gehofft hatte. An der Querwand stand eine bronzene Götterstatue, vielleicht vier Meter hoch. Davor thronte ein Mann, der eine Toga am Leib hatte und einen goldenen Lorbeerkranz trug. Sein Gesicht strahlte Ruhe, Würde und Macht aus, Kramer musste an Cäsar denken. Und, zu seinem beinah komischen Entsetzen, an Doernberger, den Altstalinisten mit dem unerschütterlichen Glauben an den Genossen Honecker. Links neben ihm stand Anette. Oder war sie es wirklich? Die Traum-Anette war größer und schöner als die reale. Sie war in einen blendend weißen Umhang gehüllt, der in dem gedämpften Licht des Tempel-Innenraums zu phosphoreszieren schien. Ihren Zügen war eine atemberaubende Arroganz eingeschrieben. Sie trug einen antiken Helm, der ihr erstaunlich gut stand. Ihre linke Hand ruhte auf der Schulter des sitzenden Mannes. Kramer hätte sie angesprochen, aber ihr Blick war von einer derartigen Kälte, dass er es nicht wagte.
    Die dritte Figur erschreckte ihn am meisten. Sie trug das Gesicht des Weißen aus der Oderberger Straße. Große Engelsschwingen überragten seine Schultern und auch den Kopf und fielen in einem eleganten Bogen zu den Füßen der Gestalt hin ab. Der Weiße trug beidhändig ein langes, goldenes Schwert. Die Klinge lehnte an seiner Schulter, und er schien sich am Hals geschnitten zu haben, denn ein dünnes Rinnsal Blut sickerte durch sein weißes Brustgefieder. Kramer konnte das Schwert nicht ansehen. Es verursachte ihm Übelkeit. Er wusste: Das ist der Erzengel Gabriel.
    Ihn fröstelte. Er wollte gehen, aber er glaubte nicht, dass es ihm erlaubt war. Anette, dachte er und sah sich gleichzeitig hilfesuchend zu seinem Fremdenführer um. Aber Marx saß auf einer niedrigen Steinbank am Eingang des Tempelchens und blätterte in einem Buch. Er sah kurz auf: Sein Blick wirkte weitgehend unbeteiligt.
    »Was sollen wir nur mit dir machen?« Der Mann auf dem Thron hatte gesprochen. Auch seine Stimme war cäsarenhaft. »Du hast uns den Sieg gekostet.« Er beugte sich vor, wie um Kramer besser sehen zu können. »Wenn du wenigstens deinen Vorgesetzten erschossen hättest. Major …«
    »Lobedanz«, ergänzte Anette. Ihre Stimme klang wie im echten Leben, nur verstärkt. Als sprächen mehrere Anettes gleichzeitig.
    »Du warst knapp davor. Aber dann hast du dich dagegen entschieden. Zu brav. Geradezu … gehemmt. Das hat uns zurückgeworfen.«
    Er raffte seine Toga über den Knien zusammen, um ihren Saum vom Boden fern zu halten.
    »Aber ich bin unhöflich. Wir haben uns noch nicht vorgestellt. Reisende sollte man in Griechenland immer mit Hochachtung behandeln. In jedem von ihnen könnte ein Gott verborgen sein.« Er lachte trocken. »Wir«, sagte er und zeigte erst

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