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Poppenspael

Poppenspael

Titel: Poppenspael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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Sachen
empfindet er mit einem Mal als pietätlos, dabei wurden schon
öfter Wohnungen von Toten, sogar von Mordopfern, von ihm
durchsucht. Irgendetwas ist anders als sonst, denkt er, vielleicht
weil man die Frau nicht hier ermordet hat.
    »Ich hab damals
jeden Morgen fünf Kilometer Lauftraining gemacht, dabei kurze
Pausen mit Schattenboxen und zum Schluss einen kurzen
Sprint«, erzählt Jacobsen und sieht in den
Kühlschrank. »Ausdauer ist das A und O beim Boxen, hat
auch mein Trainer immer gepredigt.«
    »Und wie alt
warst du damals?«
    »13, ich habe
mit 13 angefangen.«
    »Bei unseren
ungeregelten Dienstzeiten ist das für mich nicht zu schaffen.
Ich bin schon froh, wenn ich einmal die Woche Zeit fürs
Trainieren finde. Will ja auch nur ein bisschen mehr
Kondition«, sagt Mielke verlegen und kommt sich dabei vor,
als würde er sich verteidigen. »Und du? Was machst du
nach Feierabend, wenn du nicht mehr boxt?«
    »Hier ist
nichts, was uns weiterbringen wird«, knurrt Jacobsen, ohne
auf die Frage einzugehen, guckt noch kurz in die Abseite und
marschiert über den schmalen Flur ins Wohnzimmer. Mielke trabt
hinterher.
    »Unser Trainer
in Itzehoe sagt immer: Boxen ist sparsamer Einsatz von Kraft und
Bewegung. Genau das finde ich gut und das reicht mir schon«,
bemerkt Mielke, während der Kollege lustlos im Stubenschrank
herumstöbert. Er scheint ihm gar nicht mehr zuzuhören,
und Mielke wundert sich über sich selbst, warum er Jacobsen
unbedingt beeindrucken will, zumal er ihn und seine national
angehauchte Gesinnung sowieso nie ausstehen konnte.
    Mielke wendet sich der
Ermittlung zu, lässt seinen Blick durchs Wohnzimmer wandern,
das für seinen Geschmack sehr spartanisch eingerichtet ist. Es
gibt keinen Fernseher, nur ein kleines Radiogerät auf dem
Schreibtisch, an den mit Blümchentapeten tapezierten
Wänden hängen keine Bilder. Eine antike Standuhr
füllt den Raum mit einem unterschwelligen Ticken. Auf der
Fensterbank erweckt ein kleines Opernglas Mielkes Neugier. Er tritt
ans Fenster, teilt die schweren Gardinen und späht hinaus, ob
es dort draußen etwas zu beobachten gibt. Die Straße
liegt noch im Schatten, aber die ersten Sonnenstrahlen fallen schon
über die Giebel. Direkt gegenüber steht ein altes
Backsteinhaus, das im Parterre weiß gestrichen wurde. Selbst
die Fensterscheiben sind mit weißer Farbe
übertüncht. Auf der viereckigen Lampe über der
Tür sind mit schwarzen Klebebuchstaben die Ziffern 6 und 9
angebracht.    
    Genau, das ist der
Club 69, erinnert sich der Kriminalist. Das ist doch so ein
Domina-Schuppen, von dem Swensen mal erzählt hat. Wusste gar
nicht, dass der noch existiert.
    Er nimmt das Opernglas
in die Hand, führt es an die Augen und blickt damit zur
Eingangstür des Bordells hinüber.
    Hey, damit kann man ja
fast durchs Schlüsselloch gucken!
    »Schau dir das
hier mal an!«, unterbricht ihn Jacobsen, der gerade die
Schreibtischschublade aufgezogen hat. Er hält einen Bogen
Papier in der Hand und legt ihn auf die Tischplatte.
»Anscheinend ein Brief, handschriftlich.«
    »Von unserem
Mordopfer?«, fragt Mielke und legt das Opernglas auf die
Fensterbank zurück.
    »Keine Ahnung,
aber von wem sollte er sonst sein?«
    »Das ist aber
kein Brief!«, stellt Mielke fest und nimmt das Papier in die
Hand. »Wer schreibt einen Brief mit Bleistift? Wenn du mich
fragst, sieht das eher nach einem Entwurf aus. Schau mal hier, da
sind Worte durchgestrichen und dafür andere wieder
eingefügt.«
    »Kannst du das
entziffern?«, fragt Jacobsen.
    Mielke liest ohne
große Betonung vor: »Sehr geehrter Herr Šemik.
Ich habe die Vorankündigung für ›Ursache und
Wirkung‹ am Sonntag gelesen. Die Inhaltsangabe hat mich sehr
aufgewühlt und nachdenklich gemacht. Ich habe mir lange
überlegt, ob ich Ihnen etwas dazu schreiben sollte oder nicht,
doch letztendlich habe ich mich dazu entschlossen, Ihnen einen
Ausschnitt aus der Predigt von Josef Kardinal Ratzinger zu
schicken. Wenn Sie ihn aufmerksam lesen, werden Sie bestimmt
wissen, warum ich das mache.
    Schafe, die unter die
Wölfe geschickt werden, haben Grund, sich zu fürchten,
denn sie können nur zerrissen werden. Und er selbst, der Herr,
den das Alte Testament als den Löwen aus dem Stamme Juda
ankündigt, hatte sich zum Lamm gemacht und ist als Lamm in die
Wolfswelt hereingetreten und zerrissen worden. Und so steht er als
das geschlachtete Lamm über der Weltgeschichte und zeigt uns
gerade so die wahre, letzte Macht. Nicht die Wölfe

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