Poppenspael
speziellen
Grund?«
»Hört sich
an, als könntest du es nicht erwarten, einem Familienvater aus
heiterem Himmel mitzuteilen, dass man gerade seine Frau ermordet
hat«, stellt Swensen trocken fest.
»Nicht wirklich,
aber langsam fahren nützt da ziemlich wenig,
oder?«
»Ist ja
gut«, murmelt Swensen genervt und ärgert sich im
nächsten Moment über seine ungehaltene
Stimmung.
Dein hoher Anspruch
sitzt dir im Nacken, denkt er gleichzeitig und gesteht sich ein,
dass seine anfänglichen, naiven Vorstellungen von der Arbeit
eines Kriminalbeamten durch die langjährige Praxis ziemlich
zurechtgerückt wurden.
Wie oft war ihm die
reale Wirklichkeit von Leiden und Tod näher auf den Leib
gerückt, als er verkraften konnte. Er hatte echte Lebenskrisen
bewältigen müssen, zum Beispiel während der
Dienstzeit in Hamburg, als er sich wochenlang mit einer
posttraumatischen Belastungsstörung herumschlagen musste.
Flashbacks von blutüberströmten, ermordeten Jugendlichen
im Sternschanzenpark quälten ihn, wollten nicht aus seinem
Kopf verschwinden. Damals musste er sich eingestehen, dass der
Buddhismus ihm dabei nicht weiterhelfen konnte. Je mehr er auf sein
Meditationskissen geflüchtet war, um das reine Gewahrsein zu
üben, desto mehr überwältigten ihn die brutalen
Mordbilder.
Glücklicherweise
traf er zu diesem Zeitpunkt in einem Psychologieseminar auf Anna
Diete. Sie hörte ihm einfach nur zu und vermittelte nach
langem Zureden eine Therapie bei einer Kollegin. Danach hatte er
gelernt, dass er einen klaren Bezugsrahmen im Samsâra finden
musste, um die spirituellen Erfahrungen in der Meditation richtig
einzuordnen. Erst danach begann er den Satz von Meister Rinpoche zu
verstehen: »Nirvâna ist Samsâra und Samsâra
ist Nirvâna«.
In Finkhaushallig gibt
es mehrere Bauernhöfe und Einfamilienhäuser. Am
Westerkoogweg 31 steht ein quadratischer, zweistöckiger
Backsteinbau mit Reetdach. In der offenen Garage steht ein
weinroter Honda Civic. Der Hauptkommissar stoppt den Polo direkt
vor der hölzernen Gartenpforte, steigt aus und mustert das
Haus. Silvia ist schon durch die Pforte und wartet im Lichtkegel
der Haustür. Ein Bewegungsmelder hat eine Lampe unter dem Dach
eingeschaltet. Swensen atmet durch und stellt sich neben die
Kollegin, ein kurzer Blickkontakt, Silvia nickt, dann drückt
der Hauptkommissar ohne ein Wort die Türklingel. Der Ton ist
lauter als erwartet, schrillt durch die nächtliche Stille. Er
fühlt eine bleierne Schwere auf seinen Schultern, sucht mit
seiner rechten Hand in der Jackentasche nach dem Dienstausweis und
fingert ihn umständlich heraus. Es sind Schritte zu
hören.
»Wer ist da?
Petra, bist du’s?«, fragt eine Stimme durch die
geschlossene Tür.
Swensen drückt
erneut den Klingelknopf. Die Haustür öffnet sich einen
Spalt, eine Türkette spannt. In der Ritze erscheint ein mit
Sommersprossen übersätes, blasses Gesicht. Die Mundwinkel
sind leicht nach unten gebogen. Aus dem Augenschlitz mustern
erstaunte, hellblaue Augen die fremden Personen vor der
Tür.
»Es ist mitten
in der Nacht! Wissen Sie eigentlich, wie spät es ist?«,
knurrt der Mann verärgert.
Swensen hält ihm
seinen Dienstausweis vor die Nase. »Kriminalpolizei Husum,
können wir bitte kurz hereinkommen?«
»Einen
Moment«, sagt der Mann knapp. »Ich zieh mir erst etwas
über.«
Noch bevor Swensen
etwas sagen kann, ist die Tür wieder ins Schloss gefallen.
Irgendwie kommt ihm das merkwürdig vor, er sieht zu seiner
Kollegin hinüber, doch Silvia scheint nichts bemerkt zu haben.
Sie steht gelassen neben ihm, hat den Kopf gehoben und schaut
gelangweilt zum Sternenhimmel hinauf. Swensen bleibt weiterhin
misstrauisch, die Zeit, nachdem der Mann hinter der Tür
verschwunden ist, zieht sich unverhältnismäßig in
die Länge.
»Soll ich noch
mal klingeln?«, fragt er Silvia, als in der Garage ein
Automotor aufheult. Ehe die beiden Kriminalisten die Situation
richtig begriffen haben, rauscht der weinrote Honda
rückwärts die Garagenauffahrt hinunter. Der
Hauptkommissar starrt auf die Szene, als würde er gerade in
einem Kino sitzen. Der Wagen schleudert auf die Straße und
rast dann mit quietschenden Reifen davon.
»Was war das
denn?«, fragt Silvia entsetzt. Swensen bringt kein Wort
heraus, rennt auf die Straße und sieht nur noch die roten
Rücklichter in der Dunkelheit verschwinden.
»War das jetzt
Sören Ørsted?«, fragt Silvia
ungläubig.
»Wer denn
sonst!«, sagt Swensen mit bitterem Unterton. »Wenn
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