Poppenspael
Poppenspäler-Museum gestern Abend vor Augen, während
sie entschlossen die Bettdecke zurückschlägt. Im selben
Moment hört sie von irgendwoher ihr Handy klingeln. Sie tappt
orientierungslos auf den dumpfen Ton zu und findet es auf der
Flurkommode unter einem Stapel ungeöffneter Briefe und
Zeitungen.
»Bigdowski
hier!« Die kräftige Stimme des Chefredakteurs
ertönt, nachdem sie die Taste Gesprächsannahme
gedrückt hat. »Wo steckst du im
Moment?«
»Ich bin
zwischen Tür und Angel«, lügt sie hellwach und
betrachtet sich nackt im Spiegel neben der Kommode. »Will
gerade zu einem Termin in Neumünster, die
Überfischungssache.«
»Vergiss die
Überfischung, die hört so schnell nicht auf! Ich hab ein
brandheißes Eisen gesteckt bekommen. In der Nacht sind drei
Frauen im Schlosspark erschossen worden. Das weiß noch
niemand, ist also streng vertraulich, auch du hast natürlich
keine Ahnung, verstanden? Klemm dich augenblicklich hinter die
Story, höchste Priorität. Ich brauche für die
morgige Ausgabe einen sensationellen Aufmacher! Ich zähl auf
dich, Maria, hau rein!«
Think Big legt erst
auf, nachdem er von der Journalistin das ersehnte
»Okay« gehört hat. Sie spürt ihren
Herzschlag, hält das Handy in der Hand und sieht im Spiegel
ein wildfremdes Gesicht, kreideweiß und mit weit
aufgerissenen Augen.
Drei Frauen,
Schlosspark, erschossen! Bruchstückhafte Gedanken treiben ihr
das Adrenalin ins Blut. Schlagartig ist ihr bewusst, um welche
Frauen es sich handeln muss. Wie in einem Nebel erscheint die Szene
von gestern Abend vor ihren Augen, sie sieht, wie die drei Frauen
ihr und der Biehl zuwinken, während sie den Weg in den
Schlosspark nehmen. Langsam macht sich die Gewissheit breit, dass
sie kurz davor gewesen ist, mit zu diesem Abschlusstreffen zu gehen
und sie nur millimeterbreit am Schicksal dieser Frauen
vorbeigeschrammt ist.
Du hättest tot
sein können, hämmert es in ihrem Kopf, eine andere
Entscheidung, und du würdest nicht mehr leben und wärest
für immer mausetot!
Der Frau im Spiegel
zittert das Handy in der Hand. Es ist aber nicht ihr Handy, es ist
ihre Hand, die zittert. Die Frau schlottert am ganzen Körper.
Maria Teske schaut an sich herunter. Ihre nackten Knie wackeln
unkontrolliert. Die Vorstellung, dass ihr Leben nur an einem
seidenen Faden gehangen hat, ist ein so unvorstellbarer Gedanke,
dass sie ihn nicht zulassen kann.
Schon als Kind hatte
der Gedanke an ihren eigenen Tod sie nächtelang wach gehalten.
Nicht mehr auf dieser Welt zu sein, endgültig, bis in alle
Ewigkeit, hatte etwas Schwindelerregendes. Alles was ihre Existenz
ausmacht, sollte mit einem Mal für immer verschwunden sein,
niemals mehr in dieser Form wiederkehren? Sie konnte es einfach
nicht begreifen, und es stürzte ihre Kinderseele in eine
Endlosschleife der Angst.
Bis vor dem Anruf
wäre sie überzeugt gewesen, dass sie sich mit der
Todesangst ihrer Kindertage einigermaßen arrangiert hatte.
Sie lebte mit dem Motto: Der Tod trifft immer nur die anderen.
Dahinter verbarg sie ihre Haltung, dass mit dem Sterben
selbstverständlich alles vorbei ist und es eine Seite für
die Sterbenden und daneben eine andere für die Lebenden gibt.
Das Leben hatte sie gelehrt, sich den Tod von außen
anzusehen, das brachte der Beruf als Journalistin automatisch mit
sich. Außerdem werden heutzutage selbst dem Otto
Normalbürger Todesnachrichten Tag für Tag über den
Fernseher frei ins Haus geliefert.
Das härtet selbst
einen Angsthasen ab, denkt sie. Wahrscheinlich ist der Tod nur dann
ein Tabu, wenn es um den eigenen geht. Jetzt bloß keine neue
Endlosschleife, mahnt ihre innere Stimme.
Das Spiegelbild schaut
ihr ernsthaft in die Augen. Das Gesicht hat wieder etwas Farbe
angenommen und der Körper ist ruhiger geworden. Sie legt das
Handy auf die Kommode und geht ins Bad unter die Dusche. Das Wasser
prasselt auf ihre Haut, spült den Tod aus den
Poren.
»Ich
lebe«, ruft sie wie im Rausch, »ich lebe, ich lebe, ich
lebe!«
Das Hochgefühl
ist noch nicht verebbt, als sie 20 Minuten später die Wohnung
verlässt. Ihr Uhrwerk ist bis zum Anschlag aufgezogen, und
alles läuft ab wie von selbst. In solchen Situationen konnte
sie sich schon immer auf ihre Intuition verlassen. Zu diesem
Zeitpunkt würde sie nur bei den Frauen vom Förderverein
etwas herausbekommen und die dürften im Moment mit Sicherheit
im Poppenspäler-Museum anzutreffen sein. Trotz der kurzen
Entfernung bis dorthin beschließt sie, ihren Smart zu
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