Porträt eines Starters
ein gutes Omen. Ich lege unseren Fund vorsichtig in den Wagen und werfe einen Blick auf das Preisschild über dem Südfrüchteregal.
»Wenigstens haben sie einigermaßen normale Preise«, sage ich.
Ray macht sich Sorgen, dass die Einkaufszentren dazu übergehen könnten, die Kunden abzuzocken, wie es in den kleineren Läden bereits geschieht. Aber bis jetzt ist das nicht der Fall. Irgendwo in der Verwaltung des Konzerns, der dieses Einkaufszentrum beliefert, sitzt noch jemand, der ein Herz hat.
An den Kassenautomaten kleben handgeschriebene Zettel: Zurzeit nur Barzahlung möglich. Wie mir die Kassenkräfte fehlen, die mein Geld entgegennehmen!
Callies Handtasche. Zum Glück haben wir ihr nie eine Kreditkarte besorgt. Wir werden später überlegen müssen, ob auf ihrem Handy wichtige Informationen gespeichert waren. Unsere Adresse? Mir kommt zu Bewusstsein, dass im Moment keine von uns ein funktionsfähiges Mobiltelefon besitzt. Am besten fahren wir von hier aus sofort heim. Wir werden am Abend mit Ray besprechen, was zu tun ist. Ray ist so klug. Immerhin hat er die Handleuchte erfunden. Ein raffiniertes Ding, das seine Energie aus unserem eigenen Pulsschlag zieht. Und dann sein »Geheim«-Projekt, über das er nicht mal mit mir sprechen darf.
»Mom? Der Kassenzettel.«
Sie deutet auf den Papierstreifen, der aus dem Automaten kommt. Ich stecke ihn ein, Callie nimmt die Tüten, und gemeinsam eilen wir zum Ausgang.
Die Spore, 40 000 Fuß über Normal-Null, oberhalb der Westküste, 13:30 Uhr
Die Spore ahnt, dass sie sich ihrem Ziel nähern. Bald wird sie der Frau begegnen, die ihr Schicksal ist. Ein plötzlicher Ruck, und sie spürt die Geschwindigkeit, mit der sie die Luft durchdringt. Die Sporen werden gegen die Rückwand geworfen.
Erregung erfasst sie.
Druck baut sich auf. Ein schrilles Pfeifen zerreißt die Luft, bis ihr Behälter platzt und die Trümmer davonfliegen. Plötzlich ist da Licht und Himmel. Weit unten erscheinen Bäume. Die Sporen stieben auseinander. Jede nimmt ihren eigenen Weg. Wieder ist die Spore allein. Sie schwebt … in die Tiefe.
Barbara Woodland, Ralphs Lebensmittelmarkt, 13:30 Uhr
Callie und ich stehen am Ausgang und mustern aufmerksam den Parkplatz. Nirgends Typen, die Ärger machen könnten. Nur Kunden, die ihre Vorräte zu den Autos schleppen.
»Okay«, sage ich. »Keine Gefahr. Alles, was schief gehen kann, ist bereits schief gegangen.«
Callie nickt. Wir begeben uns ins Freie.
»Was machst du zum Abendessen?«, fragt sie.
»Wie wäre es mit Spaghetti? Die magst du doch, oder?«
Sie strahlt. Wir hören ein seltsames Geräusch über uns, ein gedämpftes Plop wie von einem Sektkorken, nur lauter und weiter weg. Als wir aufschauen, tanzen Schneeflocken am Himmel.
Schnee im Süden Kaliforniens?
Ich drehe mich im Kreis. Von allen Seiten rieseln die Flocken herab. In meiner Panik stolpere ich über einen Pflanzentrog, der den Parkplatz begrenzt. Ich stürze, und der Inhalt meiner Tüten verteilt sich auf dem Asphalt. Die Orange rollt davon.
»Mom!« Callie wendet sich zu mir um und lässt ihre Tüten fallen.
»Lauf!«, rufe ich ihr zu. »Wir treffen uns am Auto.«
Ich werfe ihr den Schlüsselbund zu. Sie fängt ihn geschickt auf und rennt los. Ich rapple mich hoch.
Callie stürmt zu unserem Wagen ganz am Ende der Reihe. Ich bin dicht hinter ihr. Einmal dreht sie sich nach mir um. Ich scheuche sie mit einer Handbewegung weiter.
»Nicht stehen bleiben!«
Die anderen Kunden auf dem Parkplatz rennen jetzt ebenfalls. Rennen um ihr Leben. Ich stoße um ein Haar mit einer alten Frau zusammen, die auf mich zugelaufen kommt. Callie hat den Wagen erreicht und reißt die Fahrertür auf.
Sie klettert auf den Rücksitz, dreht sich um und streckt mir eine Hand entgegen. Ich setze einen Fuß auf die Trittleiste des SUV.
»Das war knapp«, sagt sie.
Erleichtert reiche ich ihr die Linke, damit sie mich hochziehen kann. Und während sie mir beim Einsteigen hilft, schwebt eine einzelne Spore nach unten und landet auf meinem Arm.
Die Spore, jetzt.
Sie hat es geschafft.
Die Spore hat ihr Ziel erreicht. Endlich sind sie zusammen, sie und diese schöne Frau.
Als sie sich in ihre Haut vergräbt und ihre Essenzen verschmelzen, hat sie ihre Erfüllung gefunden.
Wie es nach »Porträt einer Spore«
weitergeht, erfährst du in den Romanen
und
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