Poseidon - Der Tod ist Cool
unnatürlich wirkte. Die Bewegungen flossen ineinander über und vereinigten sich, wie die Arme eines Flusses, die am Delta zu einem großen Strom zusammenliefen.
Diese Symbiose aus Kraft und Beweglichkeit hatte Hauptkommissar Peter Frenzel unzählige Dienste geleistet.
4. Kapitel
Kreischen bohrte sich in sein Ohr, durchschlug das Trommelfell. Splitter schossen in seinen Schädel.
Messerscharf.
Rissen ihn aus dem Schlaf. Hoben ihn aus seinen Träumen an die Oberfläche zurück.
Das Handy klingelte.
Es dauerte einige Sekunden, bis Frenzel realisierte, dass er sich in seinen eigenen vier Wänden befand, dass die lodernden Fänge seines Albs ihren Griff gelockert hatten. Die Flammen erstickten.
Die Hitze verebbte.
Instinktiv berührte seine Hand die verbrannte Haut auf seinem Kopf.
„Peter Frenzel, guten Tag.“ Er lag auf seinem Sofa. Die Stimme klang brüchig. Seine Finger umklammerten das Telefon, bis die Knöchel weiß wurden.
Feuchte.
Ein dünner Film Schweiß überzog das Plastik. Zähe Asche alter Geschichten. Er bemerkte es nicht.
„Michael hier. Ich störe ungern an deinem freien Tag, aber die Umstände erfordern es. Wir haben einen – wie soll ich sagen – mysteriösen Todesfall. Nicht irgendjemand. Reinhard Kofen, aus dem Ulster-Rennstall. Ich möchte nicht lange ins Detail gehen. Am besten, du siehst dir die ganze Angelegenheit selber an und machst dir ein eigenes Bild. Ich erwarte dich in der Gerichtsmedizin.“
Michael Nowotny, Frenzels Chef, kein Mann langer Reden oder großer Worte, wartete gar nicht erst eine Antwort ab, sondern legte auf. Frenzel kümmerte es nicht. Sie hatten vor über fünfzehn Jahren gemeinsam ihren Dienst bei der Polizei begonnen und waren während dieser Zeit Freunde geworden. Die Ausbildung und die gemeinsamen Jahre auf Streife hatten sie zusammengeschweißt. Nowotny war mittlerweile bis zum Polizeichef aufgestiegen. Dies lag an seiner Gabe, Fingerspitzengefühl und Härte in einem ausgewogenen Verhältnis zu besitzen und dementsprechend einzusetzen.
Frenzel legte das Telefon zur Seite. Sein Griff hatte sich während des Gesprächs nicht gelockert.
Die Dämonen krochen langsam aus seinen Gliedern und gaben ihn frei.
Sie hatten Zeit.
Unendlich viel Zeit.
5. Kapitel
Das Sonnenlicht perlte durch die halb geöffneten Augen der Jalousien und tanzte durch das Büro. Rauch hing träge in der Luft, schwebte flimmernd durch das Halbdunkel. Er legte sich auf den mahagonifarbenen Schreibtisch im englischen Kolonialstil, den Mont Blanc Füller, die Aktenordner, die lose herumliegenden Papierbögen und Fotos.
Er legte sich auf alles.
Fein.
Fast unsichtbar.
Nowotny ließ sich in seinen schwarzen, ledernen Bürostuhl fallen und stöhnte. Er war müde. Erschöpft. Sein Gesicht eingefallen, schmal, die Haut blass. Sie hing träge und teigig von den Wangen. Zerschmolzenes Wachs. Brüchig.
Der letzte Fall hatte ihn Tag und Nacht auf Trab gehalten. Die Suche nach dem pädophilen Kindermörder benötigte jedes Quantum Kraft, welches in seinen dreiunddreißig Jahre alten Knochen steckte. Der Druck der Öffentlichkeit war enorm. Ohne Frenzel hätten sie es niemals geschafft.
Die dunkelbraunen Augen glitten über volle Bücherregale, Kunstdrucke von Rembrandt und Dürer an den vergilbten Wänden, durchquerten den gesamten Raum mit seinen kümmerlichen Pflanzenresten in den Blumentöpfen und blieben auf dem Zigarettenstummel zwischen seinen nikotinverfärbten Fingern liegen. Er nahm einen letzten Zug, inhalierte das Gas, sog es tief in seine Lungen hinab. Es besetzte einen weiteren Teil seines Lebens, markierte sein Territorium in klebrigen schmutzigen Flecken auf der Karte.
Nowotny drückte den Glimmstengel in den Aschenbecher. Er fuhr sich durch sein schwarzes, kurzgeschnittenes Haar, das an manchen Stellen schon ergraute, kratzte sich gedankenverloren am Kopf. Automatisch fuhr seine Hand über den Schreibtisch, fingerte zwischen Papier und Ordnern umher.
Suchte.
Fand.
Schob sich die nächste Zigarette zwischen die Lippen. Verbrannte ein weiteres Stück Land.
Die Gedanken kehrten zurück. Öffneten die Schleusen und schleuderten die Bilder der Gerichtmedizin in tosendem Gewitter hinaus. Verteilten die sterblichen Überreste Reinhard Kofens.
Ins Hier und Jetzt.
Die letzten Stunden, Minuten, Sekunden schlugen Nowotny ins Gesicht. Gewaltige Brecher, die ohne Unterlass gegen seinen Verstand brandeten und den letzten Rest Vernunft aus seinem Versteck
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