Post Mortem
wenn ich lesbisch wäre, aber ich bin es nicht. Ich habe kein Interesse an irgendetwas von irgendwem unterhalb der Gürtellinie. Falls Sie ein Etikett brauchen, wie wär's mit asexuell? Wäre ich damit Ihrer Ansicht nach verrückt?«
»Nein.«
Ein schwaches Lächeln. »Das sagen Sie wahrscheinlich nur, weil Sie ein - wie nennt man es doch gleich - gutes Einvernehmen zwischen uns herstellen wollen.«
»Sie sind nicht an Sex interessiert«, sagte ich. »Das ist Ihr gutes Recht. Bis jetzt habe ich nichts gehört, was verrückt wäre.«
»Die Gesellschaft hält es für unheimlich.«
»Dann werden wir die Gesellschaft nicht in das Büro lassen.«
Sie lächelte. »Weiter im Text: Meine Schwester - Lydia, siewurde Liddie genannt - konnte ihre Hosen nicht anbehalten. Vielleicht hatte Gott vor, uns einen Streich zu spielen? Zwei Mädchen, die einen Sexualtrieb unter sich aufteilen?«
»Der Ihrer Schwester am Montag, Ihrer am Dienstag, aber dann wurde sie gierig?« Sie lachte. »Ein gewisser Sinn für Humor ist in Ihrem Job wichtig.«
»In Ihrem auch.«
»Wissen Sie viel über meinen Job?«
»Dr. Silverman hat mir erzählt, dass Sie die beste OP-Schwester sind, mit der er je zusammengearbeitet hat.«
»Der Mann übertreibt«, sagte sie, aber ihre Augen funkelten. »Okay, vielleicht ist es nur eine leichte Übertreibung, weil mir ad hoc auch niemand einfällt, der besser ist. Gestern Abend hatten wir einen Mann, einen Gärtner, der sich beide Hände in einem Rasenmäher verstümmelt hatte. Wenn man zu viel Einfühlungsvermögen hat, ist man die ganze Zeit deprimiert… Wo wir gerade von schlimmen Dingen reden, meiner Schwester sind jede Menge schlimme Dinge zugestoßen, aber nichts, was sie nicht verdient hätte. Sie starb auf dem Rücksitz einer Harley auf dem Weg zu einem großen Bikertreffen in South Dakota. Sie hatte keinen Helm an, das Genie am Lenker auch nicht. Er nahm eine Kurve falsch, und sie flogen von der Straße.«
»Tut mir leid, das zu hören.«
Sie kniff die Augen zusammen. »Ich habe ein bisschen geweint, aber - und das klingt in Ihren Ohren vielleicht kalt -so wie Liddie lebte, war es ein Wunder, dass es nicht früher passiert ist. Jedenfalls ist der Sinn des Ganzen, Ihnen zu erklären, wie ich an Tanya gekommen bin. Liddie ist ihre biologische Mutter, aber eines Tages, als Tanya drei war, beschloss meine Schwester, dass sie sie nicht mehr haben wollte, und lud sie auf meiner Schwelle ab, im wahrsten Sinn des Wortes. Mitten in der Nacht höre ich die Klingel an der Tür, gehe nach draußen, und da steht Tanya und umklammert ein Stofftier, einen Killerwal, den sie als Andenken in Alaska bekommen hat. Liddie sitzt in einem heißen Schlitten am Bordstein, und als ich losgehe, um ein paar Takte mit ihr zu reden, braust die Kiste los. Das war vor vier Jahren, und ich habe nie wieder von ihr gehört, bin sogar erst ein Jahr nach dem Unfall über ihren Tod informiert worden, weil sie falsche Papiere bei sich hatte und die Highway-Cops eine Weile brauchten, um herauszukriegen, wer sie war.«
»Wie hat Tanya darauf reagiert?«
»Sie hat ein paar Tage geweint, dann hörte sie auf. Sie fragte von Zeit zu Zeit nach Liddie, und meine Antwort lautete immer, Mommy liebe sie und hätte sie bei mir untergebracht, weil ich mich besser um sie kümmern könnte. Ich habe ein Buch gekauft, in dem Kinder über den Tod aufgeklärt werden, habe die Passagen verwendet, die einen Sinn ergaben, und die Passagen übersprungen, die keinen ergaben. Im Großen und Ganzen schien Tanya es ziemlich gut zu akzeptieren. Sie stellte die richtigen Fragen. Dann kümmerte sie sich um ihre Sachen. Ich fuhr damit fort, ihr zu sagen, dass Mommy sie liebe und immer lieben werde. Nachdem ich es ihr vielleicht zum tausendsten Mal gesagt hatte, schaute Tanya zu mir hoch und sagte: ›Du bist meine Mommy. Du liebst mich.‹ Am nächsten Tag habe ich das Adoptionsverfahren eingeleitet.« Sie blinzelte und blickte zur Seite. »Ist das so weit alles hilfreich?«
»Perfekt«, sagte ich.
»Vielleicht finden Sie etwas heraus, was ich übersehen habe, aber sie schien wirklich vernünftig damit umzugehen. Sie ist ein kluges Kind, ihre Lehrerin meint, sie sei ihrer Klasse ein halbes Jahr voraus. Sie hat etwas Erwachsenes an sich, was angesichts der Jahre, die sie mit Liddie herumgezogen ist, auch nicht verwunderlich ist. Vielleicht liegt das auch an meinem Einfluss. Ich kann nichts mit Kindern anfangen,habe keinen blassen Schimmer von ihnen. Also
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